Chava Lifschitz

Chava Lifschitz was born in 1924 and lived with her family in the 9th, and later the 2nd district of Vienna. In 1938 she attended the high school that she left after the Anschluss. Through her membership of the Maccabi Hatzair, Lifschitz was able to attend the Hakhshara camp Ahrensdorf in Brandenburg, from where she fled to Palestine. She worked there mostly as a teacher. At the time of the interview she lived in Israel.

Full interview

Part 1
Part 2
Part 3
Interview form:
Video
Interview location:
Israel
Interview language:
German, Hebrew
Interviewer:
Lisa Schulz-Yatsiv
Interview duration:
02:27:20
Collection:
LBI Jerusalem
Number of meetings:
1
Date of interview:
February 16, 2014
Chava Lifschitz
Date of birth:
March 11, 1924
Place of birth:
Vienna, Austria
Route of escape
1938 Vienna, German Reich
1938 Ahrensdorf, German Reich
1939 Masada, Palestine
Stages of life
Here is a chronological list of the places that feature in the life story of the interviewed person.
Vienna, Austria
Ahrensdorf, German Reich
Masada, Palestine
Ramat Yohanan, Palestine
Masada, Israel
Haifa, Israel
Masada, Israel
Organisations
Makkabi Hazair - Vienna
Training
Compulsory schooling
Elementary school,
Vienna, Austria
to 1938
High school
High school,
Vienna, Austria
High school
School,
Haifa, Palestine
Profession/job

in chronological order

Area of employment or profession
Hairdressing, beautician / Legal, office, business, finance and insurance branches
Austria
Vienna
Area of employment or profession
Cleaning, housekeeping
Palestine
Masada
Seamstress
Textiles, fashion, leather
Palestine
Masada
Educator
Education, training / Healthcare, medicine
Palestine
Masada
Teacher
Education, training
Israel
Ginosar
Israel
Masada
“Talks about” are particularly interesting sections of the interviews curated by the editors of Austrian Heritage Archive.
Life in Vienna after the Anschluss
Hakhshara in Ahrensdorf (Brandenburg)
Imprisonment of her father during the November Pogrom (Kristallnacht) and the escape of her parents
Fleeing to and arriving in Palestine with a group from the Hakhshara camp in Ahrensdorf
Bad memories of her own wedding
Memories of the Arab-Israeli War 1948
Accusation of fleeing from Masada during the Arab-Israeli War 1948
Late vocation as a teacher for information technology

Teil 1

 

 

CL: …1924 in Wien geboren. Meine Kindheit war eigentlich eine sehr…ein durchschnittliches Bürgerleben, sozusagen. Mein Vater war zuerst Prokurist bei einer Bank und wurde aber dann entlassen in dem משבר [hebr.: Krise]…in der Krise von…wenn ich hebräische Worte hineingebe--

 

LSY: --ist in Ordnung.

 

CL: Du kannst die ja verstehen. Also da war ja diese משבר [hebr.: Krise] 1929. Da waren wir gerade fünf Jahre alt und ich kann mich nur erinnern, dass unser Papa damals selbst gebadet hat und selbst zu Hause war. Das war eine sehr strenge Zeit. Ich kann mich auch erinnern, dass meine Tante und Onkel und so weiter, seine Geschwister, haben uns geholfen. Kann ich mich erinnern. Also, so viel ein Kind da mitbekommen kann. Und er wurde dann angestellt als Hauptkassierer bei der größten Zeitung in Wien, bei der Volkszeitung. Und das hat er dann gemacht die ganzen Jahre lang. Viel kann ich aus meiner Jugend nicht erzählen. Das ist nicht so wie jetzt, dass man die Kinder aufnimmt, jede Sekunde weiß man, was sie gemacht haben und Videoclips und so. Ich habe nur ganz wenige Aufnahmen von meiner Jugend. Aber was ich mich schon erinnern kann ist, dass wir immer in die Sommerferien gefahren sind, auf das Land, zu Bauern. Und dann haben wir da mitgeholfen und das hat uns immer sehr gut gefallen. Haben wir da mitgeholfen auf dem Feld. Man hat uns sähen…mit der Sense arbeiten lassen. [Lacht.] Und dann haben wir einen Speck gegessen. Kühe gemolken. Also gemolken…man hat so getan als ob wir… Und da habe ich einige sehr, sehr schöne Erinnerungen an damals. Weniger schöner war, dass wir uns eben nicht viel erlauben konnten. Zum Beispiel wollte ich auf den Stephansdom hinaufgehen. Und wir waren drei Kinder: Ich habe noch eine Schwester, eine Zwillingsschwester und noch einen Bruder, der auch noch in Kanada lebt. Und der hat jetzt Geburtstag gehabt, auch schon 92. Und dann hat mein Papa gesagt: „Das geht nicht. Drei Kinder, das ist zu teuer, da hinaufzugehen mit uns auf den Stephansdom.“ Dann bin ich mit meinem Mann, wie wir dann nach Wien gefahren sind…dann bin ich mit meinem Mann auf den Stephansdom gegangen. Habe ich ihm das erzählt, dass wir das nicht schaffen konnten. Und ja, wir sind damals sehr viel spazieren gegangen mit dem Papa, weil Papa war sehr patriarchalisch. Sehr…ein Patriarch. Und wir hatten…das ist nicht so wie jetzt, wo die Kinder sagen: „אבא, תן לי.“ [hebr.: „Papa, gib mir“], und so weiter. Das geht jetzt nicht. Das ist bei uns unmöglich gewesen. Und wir waren ja sehr klein und mein Papa war sehr groß und dann sind wir so gegangen – kann ich mich erinnern – mit der Hand und haben uns gedacht: „Wenn uns der Papa jetzt ein Eis kauft, dann wird dieser Spaziergang gelungen sein.“ [Lacht.] Aber wir haben nicht den Mut zu sagen, „Papa, kauf uns ein Eis.“ Das wäre nicht gegangen.

 

Ja, ich komme jetzt zum Jahre 1938. An unserem Geburtstag, am 11. März, hat [Kurt] Schuschnigg abgedankt und Hitler ist einmarschiert in Wien. Und das war der Anfang vom Ende. Mein Papa hat ein Radio gebaut, damit wir das hören konnten im Radio. Und mein Bruder, der ein bisschen älter ist, also ungefähr zwei Jahre, ist gleich auf den Ring gelaufen. Bist du in Österreich gewesen?

 

 

1/00:05:29

 

 

LSY: Ich habe dort lange gewohnt, ja.

 

CL: Ja. Wo bist du aufgewachsen?

 

LSY: Ich bin in Deutschland aufgewachsen. Aber ich habe lange in Wien gelebt.

 

CL: Wo?

 

LSY: Im 2. Bezirk, im 20. und im 12..

 

CL: Wir haben in der Praterstraße gewohnt. [Lacht.] Also das war die zweite Wohnung. Mein Bruder ist gleich auf den Ring gelaufen und mein Papa war ganz verzweifelt, dass er das macht, dass er da auf den Ring läuft und…die ganzen Versammlungen von Hitler waren da. Es war sehr schlimm. Und das erste war, dass mein Papa die Arbeit verloren hat. Man hat ja die Juden sofort abgesetzt. Und ich konnte dann arbeiten gehen. Man hat uns auch aus der Schule rausgenommen. Ich war ja in der achten Klasse schon. Aber das ist meine ganze…mein ganzes Studium hat geendet mit nicht einmal völlig acht Klassen. Also vier Klassen Gymnasium. Und dann hat man uns herausgenommen aus der Schule, weil es schon keinen Sinn mehr gehabt hat. Die ganze Zeit nur: „Heil Hitler!“ Und es war auch sehr große אפליה [hebr.: Diskriminierung], wie sagt man אפליה?

 

LSY: Diskriminierung.

 

CL: Also, dass man die jüdischen Kinder…wir waren eine hauptsächlich jüdische Klasse, aber es waren auch viele christliche Mädchen da. Und ich war sehr gut, sagen wir zum Beispiel in Latein und in Mathematik und wenn ich dann bei der Lateinschularbeit bisschen weggerückt bin, weil meine Kollegin hinter mir wollte, dass ich rücke, damit sie abschreiben kann, dann hat man mich hinausgeschickt und mir das Nicht Genügend gegeben. Also solche Sachen. Das war ganz… Dann haben die Eltern gesagt: „Das hat keinen Sinn mehr, und geht nicht mehr in die Schule.“ Und ich habe auch eigentlich kein Abschlusszeugnis bekommen. Ich bin dann von meinen…ich bin dann angestellt worden in einer…ja, da fehlen mir schon die Worte. [Lacht.] Eine Grosserie [meint: Drogerie] von Parfumartikeln. Ich sollte Kollektionen zusammenstellen von Zerstäubern und Puder und solche Sachen. Dann musste ich auf die Leiter klettern und diese Kollektionen zusammenstellen, nach einer Bestellung mit Nummern. Mit fünfstelligen und sechsstelligen Nummern. Und dann hat man das kontrolliert, eine Zeitlang und dann war mein großer Stolz, dass man das dann nicht mehr kontrolliert hat, weil man sich schon verlassen konnte, dass…ich war im Ganzen noch nicht einmal vierzehn Jahre alt. Also gerade vierzehn Jahre. Gerade vierzehn Jahre…es war ja an unserem Geburtstag. Und dann habe ich auch…wir haben in der Schule Stenografie gelernt und dann hat meine Chefin gesagt: „Kann ich dir einen Brief diktieren? Kannst du Maschinenschreiben?“ Habe ich gesagt: „Maschinenschreiben kann ich nicht, aber ich kann Stenografie.“ Und dann hat sie mir das diktiert und dann sollte ich das auf der Maschine drucken. Und dann habe ich aber keine Ahnung gehabt wie man das macht. Und bin dann so gesessen, die Buchstaben suchen. Und dann bin ich noch länger dageblieben und es hat mir sehr viel Spaß gemacht und ich war sehr stolz, dass ich das machen darf und machen kann. Und dann hat mein Papa eines Tages gesagt: „Wenn du im Büro arbeitest, dann musst du mehr Lohn bekommen.“ Habe ich gesagt: „Papa, bitte sag nichts, weil ich kann ja nichts.“ [Lacht.] „Und wenn du mehr Lohn verlangen willst, dann wird man mich vielleicht wegschicken.“ Aber das war der Anfang von meinem…von meiner Ding…meiner Fertigkeit auf der Schreibmaschine. Und meine Schwester hat in erster Linie Kunstarbeiten gemacht. Sie hat solche…aus Papierrollen, die man so bei Purim…diese Papierrollen, die man so schmeißt, gell? Weißt du, was ich meine? Die sich dann so aufwickeln.

 

LSY: Die sich dann so öffnen.

 

CL: Die hat sie dann so geformt und aufge…wie sagt man das? Aneinandergereiht. Und hat solche Schälchen und solche Sachen gemacht…Eierbecher. Und dann hat sie das mit Glasur, mit einem…hat sie das dann überzogen und das hat sie verkauft. Und von diesem Geld haben wir gelebt. Das war unsere…das war damals…ja.

 

 

1/00:11:21

 

 

LSY: Auch die Eltern habt ihr so mitfinanziert?

 

CL: Ja. Ich glaube, dass das war wovon wir gelebt haben. Und unsere Onkel und so weiter haben uns geholfen.

 

LSY: Hat die ganze Familie in Wien gelebt?

 

CL: Ja. Meine Mutter hatte…war eine von fünf Kindern. Von denen eine Schwester im Ausland gelebt hat, in Amerika und in England. Die hat uns dann auch geholfen. Wie die Eltern dann aus Österreich wegwollten, hat sie ihnen dann auch geholfen. Und ein Bruder war in Amerika. Die anderen waren in Wien. Und mein Papa hat auch mehrere Geschwister gehabt: Ein Bruder ist gestorben, schon als er sehr jung war. Und die anderen…da sind noch verschiedene. [Lacht.] Schwierige Sachen da: Wie die Großmutter gestorben ist, war ein großer Streit zwischen den Kindern. Zwischen den Geschwistern meines Vaters über heritage. Aber es waren lächerliche Summen, so viel ich mich erinnern kann. Und ich weiß gar nicht warum man sich darum gestritten hat und was der Streit war. Wir durften ja nichts wissen. Die Kinder durften keine Zeitung lesen und Kinder durften nicht Politik hören und sie durften nicht wissen was vorgeht, so, dass ich eigentlich nicht weiß worum es sich gehandelt hat. Ich weiß nur, dass wir sofort unsere Onkel verloren haben, weil man nicht mehr mit ihnen gesprochen hat und meine Cousins nicht mehr gesehen hat. Das haben wir sehr… Und dann hat mich…meine Schwester und ich, wir haben uns geschworen – und das halten wir bis heute –, dass wir uns nicht über Geld streiten werden. Und das halten wir bis heute.

 

LSY: Wart ihr eigentlich eine fromme Familie?

 

CL: Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil. Mein Papa war vollkommen assimiliert und er wollte von den Zugereisten überhaupt nichts wissen, die uns sozusagen den Antisemitismus gebracht haben. Er war der Meinung, dass sie…die Galizier und diese Leute, die da gekommen sind, mit den ganzen Machinationen da…dass die den Antisemitismus heraufbeschworen haben. Und er wollte nichts wissen von denen. Wir sind aber…ich sage immer, dass es keinen Zufall gibt im Leben, dass immer alles irgendwie so kommen muss, obwohl ich nicht fromm bin und nicht an einen Gott glaube. Aber irgendwie ist da eine Instanz, die uns leitet. Und durch diesen Zufall sind wir auch in die Jugendbewegung gekommen…dass eines Tages ein Junge in unsere Klasse gekommen ist und gesagt hat: „Wer will in die Makkabi Hatzair kommen? Ich…wer wäre dafür?“ Und mein Bruder war schon bei den österreichischen Pfadfindern, und dann hat mein Papa gesagt: „Okay, geh’ zu dieser Jugendbewegung.“ Das war noch vor Hitler.

 

 

1/00:15:19

 

 

LSY: Noch vor dem Anschluss?

 

CL: Ja, noch vor dem Anschluss. Und so sind wir eben in einer Jugendbewegung gewesen, Makkabi Hatzair. Und dann hat man uns beeinflusst nach Palästina zu gehen. Und das hat uns eigentlich damals gerettet. Weil eines Tages hat unser Führer, unser Madrich, gesagt: „Ihr seid gute חלוצות [hebr.: Pionierinnen, auch als Eigenname Chaluzot] und ihr kommt auch mit auf Vorbereitung.“ Also diese Hachschara. Und wir sind nach Deutschland gefahren, in Ahrensdorf. Hast du schon gehört von Ahrensdorf? Ja.

 

LSY: Wann habt ihr Österreich verlassen?

 

CL: Das war im September [19]38. Also ein paar Monate nach dem Anschluss, aber da konnte man noch weg. Aber in der Kristallnacht…und das war auch ein sehr schönes Leben dort, obwohl wir ja nicht wussten, dass das das Schicksal war. Sondern es war für uns wie ein Sommerlager. So wie: Man kommt bald zurück zu den Eltern oder so. Aber wir haben sehr viele…das war sehr lustig. Wir haben uns da sehr wohl gefühlt.

 

LSY: Was habt ihr da hauptsächlich gemacht?

 

CL: Wir haben gearbeitet, auf dem Feld. Ich war zufällig verantwortlich für den Hühnerstall. Und das war auch noch eine ganze Sache da, mit den Nazis. Und dann bin ich mit dem Rad…ich habe ein Rad bekommen, damit ich mit dem Rad zum Hühnerstall hinausfahren kann. Das war so eine ganze Weile zu Fuß. Und die Nazis sind ja auch gekommen, uns schikanieren. Und die Kinder, die Jugend…die Juden haben Seder gemacht. Man hat mit ihnen…

 

 

[Übergang/Schnitt.]

 

 

…also solche Kniebeugen und solche Sachen. Und ich bin da gerade vorbeigefahren und dann hat man mir gesagt: „Sara, bleib da stehen!“ Und ich musste zusehen, wie die Buben fast ohnmächtig geworden sind, weil man nicht nachgelassen hat. Noch einmal Kniebeugen, noch einmal Kniebeugen…und ich durfte nicht in den Hühnerstall fahren. Und ich habe gesagt: „Meine Hühner verhungern…verdursten dort.“ Also verhungern nicht, weil ich habe ihnen so ein…Dings da gebaut, damit sie da selber Futter nehmen können. Aber ja, das waren sehr schwere Zeiten. Dass diese…wenn die Nazis…also, wir haben uns ja lustig gemacht darüber. Aber wenn ich heute darüber nachdenke, war das eine große Katastrophe wie die uns da schikaniert haben. Und das waren ja nur so zufällige Besuche im Allgemeinen.

 

LSY: Die wussten, dass ihr da in diesem Lager seid und sind gekommen?

 

CL: Ja. Speziell haben sie das…dass man diese…man hat ja keine Gewehre gehabt, aber man hat solche Stöcke genommen. Und mit denen hat man diese Übungen gemacht. Und das haben sie sehr…schlimm gefunden.

 

LSY: Und während der Reichskristallnacht wart ihr noch dort in Ahrensdorf?

 

CL: Ja. Und in der Kristallnacht hat man meinen Papa nach Dachau genommen. Und das war eigentlich das Ende seines Lebens. Also er hat noch nachher gelebt, aber…er war schon nicht mehr derselbe Mann. Er war ein ganz kolossal intelligenter und begabter Mensch. Er hat gezeichnet und er hat phantastisch gut Klavier gespielt. Er hat eigentlich alle Instrumente beherrscht. Er hatte eigentlich eine Viola gespielt. Aber er konnte auch sehr gut Geige spielen und bei uns hat immer eine Kammermusik stattgefunden.

 

LSY: Bei euch in der Wohnung?

 

CL: Ja, bei uns in der Wohnung hat man Leute eingeladen und wir haben Klavier gelernt, schon vier Jahre lang, so, dass wir die Partitur…wir durften aufbleiben, wachbleiben und mit der Partitur auch mitlesen, damit wir, wenn sie dann irgendeinen Fehler machen, sagen…wir haben ein Sextett von [Johannes] Brahms gespielt. Und dann sollten wir sagen, wo man jetzt ist, damit jeder wieder dort anfangen kann. Wir waren sehr stolz darauf. Wir durften Tee trinken. [Lacht.] Und mein Papa war ein ganz phantastischer Pianist. Er hat alle Präludien und Nokturnen von [Frédéric] Chopin gespielt. Und jetzt kommen hier auch manches Mal Konzerte und dann sage ich: „Das hat mein Papa gespielt. Das hat mein Papa…“ [Lacht.] Er hat sehr gerne Chopin gespielt und [Antonín] Dvořák und [Franz] Schubert. Alles. Er konnte mit der rechten Hand die Forelle und mit der linken Hand das Wohin? spielen, von Schubert. [Lacht.] Fantastisch.

 

 

1/00:21:10

 

 

LSY: Und das hat ihn sehr gebrochen damals?

 

CL: Aber dann nachdem er…und dann sind sie…also, meine Mutter konnte ihn nach vier Monaten noch herausnehmen aus dem Lager. Damals konnte man noch aus Österreich weg, wenn man beweisen konnte, dass man Österreich verlässt. Und da war eben meine Tante, die in England gelebt hat, die haben ihm einen permit nach England verschafft und dann sind sie nach Birmingham gegangen.

 

LSY: War dein Vater auch ein großer österreichischer Patriot?

 

CL: Also er hat immer gesagt: „Wir sind hier seit den Türken. Und wir sind gebürtige Österreicher.“ Wie gesagt, er wollte da nicht als Jude erscheinen. An das kann ich mich erinnern. Aber nein, er war kein…was weiß ich…Sozialdemokrat oder so etwas. Wir haben ja am Anfang in der Liechtensteinstraße gewohnt. Und da hat…da konnten wir hören, wie man den Karl-Marx-Hof beschossen hat. Das hat man bis zu uns gehört. Er war nicht tätig oder so, nein. Kann ich mich nicht erinnern.

 

LSY: Kannst du dich noch erinnern, ob das für euch ein großer Schock war, wie begeistert die Österreicher waren beim Anschluss?

 

CL: Also wir waren, wie gesagt, Kinder. Wir haben das nicht verstanden. Unser Papa hat schon davon gesprochen, aber das war später mehr. Später hat man mehr darüber gesprochen, dass die Österreicher die Nazis so entgegengenommen haben und so. Waren ganz begeistert von Hitler. Aber zurzeit wie das passiert ist, war man sehr entsetzt. War man sehr entsetzt, doch.

 

LSY: Hattet ihr denn auch vor dem Anschluss schon mal Erfahrung mit Antisemitismus gemacht? Dass ihr beleidigt wurdet, weil ihr Juden wart?

 

CL: Nein. Nein, nicht, dass ich mich erinnern kann. Nein. Wir haben jüdische…also waren bei jüdischen Kaufläden und die Leute haben gekauft bei diesen Leuten. Und überall waren ja Juden…in der Druckerei. Mein Onkel war Leiter von einer großen Druckerei in Wien. Aber sofort natürlich, nach dem Anschluss, wurden alle entlassen und überall wurde geschrieben: „Jude“, und „Nicht verkaufen!“, und „Nicht anstellen!“, und so weiter. Also das haben wir schon…ich kann mich daran erinnern, dass es so war. Es war nicht so schrecklich für mich. Ich habe nicht das Schreckliche daran verstanden.

 

LSY: Hattet ihr denn auch nicht-jüdische Freunde? Die sich dann anders verhalten haben nach dem Anschluss?

 

CL: Nicht, dass ich mich erinnern kann. Also ich glaube nicht. Sehr viele Freunde haben wir ja nicht gehabt. Wir haben eine große Familie gehabt. Das war in erster Linie der Umgang. Wir sind zum Onkel…und zur Großmama im Speziellen sind wir gefahren – oder gegangen, eigentlich. Man ist immer gegangen. Es waren keine großen Entfernungen. Und Geburtstagsfeiern wurden gefeiert bei der Großmama…Tombola. [Lacht.]  Also viel Jugend darin. Aber als Kind habe ich eigentlich nicht…weil eben nicht so viel fotografiert wurde, obwohl mein Papa ein ganz erstklassiger Fotograf war. Aber seine Fotografien waren in erster Linie der Schönbrunner Tiergarten. Er hatte die Erlaubnis, Tiere zu fotografieren, hinter dem Gitter, also damit das Gitter nicht dabei ist. Hat er eine spezielle license bekommen dafür. Jetzt hat meine Schwester einmal vor ein paar Jahren…einen Leiter vom Schönbrunner Tiergarten getroffen und ihm das erzählt und er hat noch davon gesprochen, dass er sich erinnern kann. [Lacht.]

 

 

1/00:26:06

 

 

LSY: Ihr wart dann in Ahrensdorf?

 

CL: Ja. Wir waren schon in Ahrensdorf. Und dann ist meine Mutter zuerst mit meinem Bruder weg aus Wien. Und der Papa ist dann nachgekommen. Warum das so war, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass sie uns besuchen gekommen sind in Ahrensdorf. Und das war eine große Aufregung, weil unsere Eltern kommen. Und ich sollte nach Trebbin fahren, den Papa von der Bahnstation abholen. Und dann hat man mir wahrscheinlich ein Taxi verschafft, genau weiß ich das schon nicht mehr. Und ich kann mich noch gut erinnern, dass mein Papa dagestanden ist und er wollte die Straße nicht überqueren. Und ich musste ihn überzeugen, dass ihm da nichts passiert. Das kann ich mich noch genau erinnern, ich habe gesagt: „Papa, hier passiert dir gar nichts. Du kannst mit mir die Straße überqueren. Wir müssen uns da ein Taxi nehmen. Wir müssen jetzt nach Ahrensdorf fahren.“ Und er war ganz…wie versteinert. Er hat uns sehr wenig erzählt von dieser Zeit in Dachau. Aber doch, dass ihm die Zehen gefroren sind, dass sie stundenlang im Schnee stehen mussten – es war ja im Winter. Und, dass alles eingefroren ist und so. Und er war psychisch total ruiniert. Sie haben dann in Birmingham…wir haben zehn Jahre lang unsere Eltern nicht gesehen. Zehn Jahre lang. Und wir sind inzwischen nach Israel gefahren, weil unsere Eltern wollten, dass…wir sollen nach England kommen. Aber in England sollten wir dann irgendwelche Hausarbeiten machen, oder so irgendwelche… Und wir waren schon beeinflusst von unseren Führern…die uns beeinflusst haben, nach Palästina zu gehen. Und wir haben gesagt: „Nein, wir gehen nach Palästina.“ Kinder sind ja sehr beeinflussbar und da…also, ich habe das nie bereut, natürlich.

 

LSY: Und da konntet ihr euch auch durchsetzen gegenüber eurem Vater? Dass ihr nach Palästina fahrt.

 

CL: Ja. Also sie wollten sehr, dass wir nach England kommen, aber das ist nicht zustande gekommen. Dann ist ja der Weltkrieg ausgebrochen [19]39 und wir sind noch genau einen Monat vor Ausbruch dieses Krieges nach Israel gekommen. Gleich nach Masada. Und das war eine andere Geschichte. [Lacht.] Du hast ja gesagt, du hast Geduld. [Lacht.]

 

LSY: Ich habe sehr viel Geduld. Wie sah eure Reise nach Palästina genau aus? Seid ihr--

 

CL: --wir sind mit dem Schiff gefahren, mit der Galiläa. Fünf wunderschöne Tage mit herrlichen Sonnenuntergängen und Sonnenaufgängen, an die ich mich noch gut erinnern kann. Das war eine sehr schöne Fahrt. Sehr lustig, weil wir ja zwanzig Kinder von Ahrensdorf, die…das war auch sehr lustig in Ahrensdorf. Wir sind ja viele Piefkes [öst. abwertend für Deutsche.] da gewesen. Wir haben uns immer lustig gemacht über die Aussprache und über die Worte. Bei euch ist…ein Kasten ist bei uns eine Kiste und was bei euch ein Glas ist, ist bei uns ein Häferl, oder Tasse und Tasse ist bei uns ein…und so weiter. Da haben wir sehr viel gelacht. Es war ein sehr schönes Leben. Wir haben da sehr schöne…wir haben Lieder gelernt und gesungen. Obwohl wir sie nicht verstanden haben.

 

 

1/00:30:21

 

 

LSY: Habt ihr auch schon Iwrit gelernt?

 

CL: [Unklar]. Wir haben ja nicht verstanden, was wir singen. [Lacht.] Und dann ist eine…dann sind ja שליחים [hebr. Gesandte, in div. jüdischen Organisationen auch als Eigenname Schlichim] gekommen und ein שליח [hebr.: Gesandter, in div. jüdischen Organisationen auch als Eigenname Shaliach] hat gesagt, ihr kommt nach Balfouria. Und dann haben wir solche Stanzen gemacht und gesungen: „Balfouria, Balfouria!“ Und eines Tages ist er gekommen, hat er gesagt: „Nein, das Programm hat sich geändert. Ihr geht nach Masada.“ Wir haben ja nicht gewusst, was Balfouria ist und wir haben nicht gewusst was Masada ist. Man hat uns da in Wien erklärt von einer [unklar], dass man eine [unklar] gründet. Und für mich, eine [unklar] das war so irgendwo im Dunkeln irgendwo ein Licht, aber worum es sich gehandelt hat, eine [unklar], haben wir nicht verstanden. Und dann sind wir eben nach Masada delegiert worden. Wir sind dann wie gesagt in Haifa angekommen mit dem Schiff. Und ein…unser damaliger Madrich aus Masada hat uns abgeholt von dem…vom Hafen. Und da sind wir so hineingekommen in den kleinen Autobus, die damals waren. Die hast du ja nicht mehr erlebt. [Lacht.] Solche kleinen Autobusse ohne Ventilation, und ohne…air condition hat es ja überhaupt noch nicht gegeben. Und dann sind wir eben losgefahren. Am 1. August, also in der größten Hitze vom Jordantal. Und je näher wir ins Jordantal wir gekommen sind, umso heißer wurde der Wind, der reingekommen ist durch die Fenster und es war schon wirklich… Wir waren Kinder…es hat uns nicht so sehr behelligt. Aber ich kann mich daran erinnern, dass wir darüber gesprochen haben, dass es so heiß ist. Und dann sind wir da angekommen und ich habe gesagt: „Ich verstehe, dass wir eine Pause machen müssen, aber ich verstehe nicht, warum man das hier machen muss, wo kein Baum und kein Schatten und gar nichts ist.“ Und dann hat man mir gesagt: „Das ist keine Pause. Wir sind angekommen in Masada.“ Und das war der Schock meines Lebens. Es war ja nichts. Nichts da. Es waren ein paar Häuser: Man hat dort speziell zwei Häuser, Betonhäuser, gebaut für die Jugend-Alija. Die Henrietta Szold hat darauf gestanden, dass Kinder aus Österreich nicht in Holzbarracken wohnen können. Und schon gar nicht in Zelten. Und da waren noch viele Leute, die da in Zelten gelebt haben und in erster Linie die meisten in Holzbarracken. Es hat im Ganzen zwei Häuser, zwei zweistöckige Häuser gegeben, in denen חברים [hebr.: Freunde, in diesem Kontext: Genossen, auch oft als Eigenname Chawerim] untergebracht waren. Das andere war noch ein Kinderhaus, ein Babyhaus. Also ganz wenige Häuser. Ich habe noch eine Aufnahme davon. Ja und dann hat das Leben in Masada begonnen.

 

Wie gesagt, wir waren ja Jugend-Alija. Und wir haben nicht so empfunden, dass uns die Eltern fehlen. Aber wir haben doch ganz, ganz ausführliche Briefe an unsere Eltern geschrieben. Sowohl meine Schwester als auch ich: Was hier vorgeht und was wir machen und was wir singen und was wir arbeiten. Wir haben ja auf dem Feld gearbeitet und wir haben…es war sehr schwer.

 

 

[Übergang/Schnitt.]

 

 

Viel zu heiß. Wir sind fünf Mal duschen gegangen und wir waren barfuß, weil unsere…ja, das muss ich noch sagen: Wir haben Wochen lang auf Hachschara unsere Kleider mit unseren Namen bestickt. Weil man gewusst hat, dass das im Kibbuz in die Maschine kommt und dann muss man das sortieren, nach Namen. Und dann ist eine ganze große Kiste mit unseren Sachen in Triest geblieben, die schon nicht mehr nach Israel gekommen ist, weil der Krieg ausgebrochen ist. Wir waren einfach ohne Kleidung und ohne Schuhe und ohne…die ganze Palästinaausrüstung, Ledermäntel oder auch Hubertusmäntel oder was da war. Und Stiefel und alles Mögliche und viele, viele Kleider und…eine ganze Kiste voll. Das ist alles nicht angekommen. Und dann sind wir barfuß noch zur Dusche gelaufen und dann war es uns so heiß…es war ja nur Sand. Es war keine Wiese und gar nichts. Nur Sand und…ganz heißer Sand, das kann ich mich erinnern. Aber wir haben gesungen und wir haben gelacht und wir haben meetings gehabt mit unseren Führern, die uns erzählt haben, was da…ich kann mich noch erinnern, unsere Madricha hat immer gesagt: „אני רוצה להגיד משהו [hebr.: „Ich möchte etwas sagen.“] Wir haben immer so gelacht. „להגיד משהו. אני רוצה להגיד משהו [hebr.: „Etwas sagen. Ich möchte etwas sagen.“] [Lacht.] Aber nach vier Monaten haben wir schon Hebräisch gesprochen. Wir haben so gut Hebräisch gesprochen, dass ich mit meiner Schwester schon nur Hebräisch gesprochen habe. Und gar nicht mehr Deutsch. Aber mit den anderen haben wir doch mehr Deutsch gesprochen. Dann war es so, dass…jede Woche musste man einen Tag nur Iwrit sprechen. Und was haben wir gemacht? Wir konnten uns ja noch nicht so gut verständigen einer mit dem anderen. Wir haben uns auf die Wiese gesetzt und haben gesungen. Hebräische Lieder. [Lacht.]

 

 

1/00:37:07

 

 

LSY: Es war dann auch wirklich…man sollte dann nur noch Hebräisch sprechen. Also man hat wirklich versucht, schnell den Kindern Hebräisch beizubringen?

 

CL: Aber wir haben sehr schnell…ich kann mich auch erinnern, ich habe eine sehr scharfe Aussprache bekommen, so eine echte sabrische [von Sabres (in Palästina geborene Jüdinnen und Juden)]. Das habe ich mir dann aber wieder abgewöhnt wie meine Eltern gekommen sind. Dann habe ich wieder sehr viel Deutsch gesprochen. Dann ist diese Aussprache verschwunden, war wieder legerer. Und Kriege haben wir ja mitgemacht ohne Ende. Zuerst eben, wie gesagt, der [Zweite] Weltkrieg. Und dann waren noch keine shelter da, aber es waren Schützengraben. Und man hat Angst gehabt. Wir konnten von Masada aus die refinery brennen sehen. Die Flammen waren so hoch, dass man das bis zu uns gesehen hat. Wenn ich heute darüber denke, das sind 60 Kilometer Entfernung. Und so hoch waren die Flammen, dass man das bis zu uns sehen konnte. Da waren ja die Flieger, die haben alles bombardiert und so weiter. Und man hat ja damals nichts gewusst. Du weißt ja nach der Historie, dass sie da schon in Arimen waren. Und man hat nicht gewusst, ob sie nach Palästina kommen. Kurz und gut, es war…wenn ich heute darüber denke, wie unsinnig das war, dass man uns da in die Schützengraben gestellt hat. [Lacht.] Das waren doch keine…wie sagt man das? Kein…הגנה [hebr.: Haganah, jüdische Untergrundarmee vor Staatsgründung Israels, wörtlich: Die Verteidigung]. Aber ich war verantwortlich für erste Hilfe. Warum weiß ich nicht. Und da waren einige Leute, die sollten da hinkommen. Und ich habe gesagt: „Ihr bringt Decken mit.“ Da waren solche…schon eine Art shelter, oder irgendwas war da schon irgendwie. Kann mich nicht mehr genau erinnern. Aber ein Untergrund war schon da. Und einer war so demoralisierend. Und ich habe ihm gesagt: „Du hörst jetzt sofort auf mit dem! Und du tust uns jetzt nicht die…“ Und: „Es war alles schlecht“, und er war ganz verzweifelt. Ich kann mich noch erinnern, wie ich da alles getan habe, um ihn zu ermuntern. Und einer war dabei, unser Madrich, der in Paris war als שליח [hebr.: Gesandter, in div. jüdischen Organisationen auch als Eigenname Shaliach]. Und hat uns andauernd erzählt von der Wurst, die er dort gegessen hat und von dem Käse, den er gegessen hat. [Lacht.] Und bei uns hat es solche Sachen nicht gegeben, in Masada. Ja, da muss ich noch etwas einfügen, wenn dich das interessiert. In Deutschland, also auf Hachschara, gab es ja sehr primitives Essen. Und man hat uns gesagt: Es gibt nur Pellkartoffeln und Weißkäse. Und ich habe gesagt: „Mir macht das nichts, weil ich habe sowohl Pellkartoffeln als auch Weißkäse sehr gern.“ Und dann hat sich herausgestellt, dass dort nicht einmal Kartoffeln waren. Und in Israel schon gar nicht. Also, in Deutschland schon, aber wie man uns gesagt hat, in Palästina gibt es nur wenig Essen, habe ich gesagt: „Das macht mir nichts, ich esse gerne diese Sachen.“ Und dann hat sich herausgestellt, dass weder Pellkartoffeln noch Käse da waren, in Masada. [Lacht.]

 

 

1/00:41:15

 

 

LSY: Was habt ihr da so gegessen, hauptsächlich?

 

CL: Man hat uns Oliven gegeben und חצילים [hebr.: Melanzani/Auberginen] und das konnte ich gar nicht essen. Bis heute nicht. Wenn man mich heute fragt: „Was ist deine liebste israelische Speise?“ Dann sage ich: „Wiener Schnitzel mit Häuptlsalat [Kopfsalat].“ [Lacht.] Bis heute.

 

LSY: War es schwer sich an das israelische Essen hier zu gewöhnen?

 

CL: Nein, bis heute nicht. Ich esse keinen Hummus und ich kann diese ganzen scharfen Sachen…ich kann die…ich kann gar keine תבלינים [hebr.: Gewürze] leiden. Überhaupt nicht dieses Basilikum und diesen Rosmarin und Zatar [arabische Gewürzmischung] und was es da alles gibt. Kommt für mich nicht in Frage. [Lacht.] Meine Enkelkinder kennen mich schon. Wenn ich da zu Besuch komme, dann wird das nicht in den Salat getan. [Lacht.] Die Chava hat das nicht gern.

 

LSY: Kannst du dich noch erinnern: Habt ihr damals auch schon angefangen Gerüchte zu hören was mit den Juden in Europa passiert? Hat man da irgendwas gehört in Palästina, während des Krieges?

 

CL: Nein. Überhaupt nicht. Wir hatten keine Ahnung. Also, außer dass mein Papa in Dachau war und, dass man darüber gesprochen hat, dass da Konzentrationslager sind. Aber, dass die alle da vernichtet werden, das hat man viel später erst erfahren. Also, ich kann mich nicht erinnern, dass wir das gewusst haben.

 

LSY: War man dann sehr froh, als der Krieg zu Ende war? Kannst du dich daran noch erinnern?

 

CL: Ja, das schon. Ja. Und dann speziell hat man darüber gesprochen, dass jetzt… [Kuckucksuhr läutet.] Dass wir uns jetzt vielleicht wiedersehen können…mit den Eltern. Aber ich war schon verheiratet und hatte schon zwei Kinder, als meine Eltern…zehn Jahre haben wir sie nicht gesehen. Die haben das ganze Bombardement in Birmingham mitgemacht. Man hat ihr Haus auch bombardiert. Aber sie wollten darüber nicht sprechen. Sie haben nur gesagt, dass es bombardiert wurde, aber nicht was passiert ist, in der Wohnung oder so. Sie sind auf jeden Fall lebend geblieben. Und wie dann…

 

 

[Übergang/Schnitt.]

 

 

…im Jahre [19]50 ist dann das erste Mal…da haben wir schon den [19]48er-Krieg mitgemacht. Und--

 

LSY: --was sind deine Erinnerungen an den Krieg?

 

CL: Und die Eltern waren aber noch in England. Und nach dem Krieg, also ich glaube [19]49 oder [19]50, ist dann meine Mutti zu Besuch gekommen. Wenn du noch Lust hast, kann ich dir noch von diesem Besuch erzählen. [Lacht.]

 

LSY: Auf jeden Fall!

 

CL: Sie ist am Lel Haseder, am Tag vom Lel Haseder nach Israel gekommen. Und meine Schwester…und damals war der Flugplatz in Haifa. Und meine Schwester und ich, wir sind dann nach Haifa gefahren, mit dem Autobus, um sie abzuholen. Und das hat aber so lange gedauert bis man die da aus dem Flugzeug befreit hat, dass es drei Uhr Nachmittag geworden ist. Und dann haben wir gesagt: Jetzt gehen wir zum Autobus, um nach Masada zu fahren. Und dann war schon kein Autobus mehr da, weil an Pessach fährt kein Autobus. Haben wir gesagt, dann haben wir keine andere Wahl: Wir müssen uns ein Taxi nehmen. Dann war auch kein Taxi da, das bereit war uns zu fahren. Das war eine ganze Odyssee. Meine Schwester hat dann gesagt, wir rufen…und dann haben wir versucht in Masada anzurufen. Aber in Masada war nur im dining room ein Telefon. Und um drei Uhr nachmittags, Lel Haseder, da war niemand da. Niemand hat geantwortet. Und dann hat meine Schwester gesagt: „Du, ich habe Verwandte in Degania. Ich rufe meine…ich ruf den an, in Degania.“

 

 

1/00:45:55

 

 

[Übergang/Schnitt.]

 

 

Dann hat meine Schwester in Degania angerufen und dieser Mann ist mit dem Pferd nach Masada geritten und hat einen…damals waren Autos ja nur bei den גיסבר [hebr.: Schatzmeister] und bei den leitenden Leuten, also es war nur ein [Fornasari] Tender [italienisches Auto]. Und dieser גיסבר [hebr.: Schatzmeister] hat gerade seine Wohnung gemalt, weil das war so ein Usus, dass man das frisch gestrichen hat, das Zimmer, so wie in dieser Holzbarracke. Und dann hat er gesagt: „Wenn ich fertig bin mit dem Malen, dann nehme ich den Tender und fahre die Kinder abholen in Haifa.“ Also, es hat noch einige Stunden gedauert, an die ich mich nicht erinnern kann. Ich weiß gar nicht, wo wir gewesen sind, wie wir uns verabredet haben, wo er uns abholt. Irgendwie hat das geklappt. Und meine Schwester ist dann neben ihm gesessen und ich bin rückwärts auf dem Tender gesessen auf dieser Bank. Und damals ist man noch mit Diesel gefahren. Bis heute wird mir noch schlecht. Wie übel mir damals geworden ist von diesem Geruch. [Lacht.] Ja und dann sind wir in Masada angekommen, aber die Mutti war bei dem Lel Haseder dabei. Daran kann ich mich erinnern. Dann ist ja schon mein kleiner Sohn zur Welt gekommen. Er ist im [19]48er geboren. Dann hat mein Papa gesagt: „Jetzt fahren wir zur Geburt.“ Und dann sind sie nach Israel gekommen. Im Jahre [19]51 haben sie dann ein Jahr gemacht, aber in Masada hat man sich sehr schlecht benommen zu den Eltern. Das war nicht so, dass man die so hochgehalten hat, sondern man hat ihnen eine ganz primitive Wohnung zur Verfügung gestellt. Es waren ja nur primitive Wohnungen. Hat man ihnen zur Verfügung gestellt. Auf jeden Fall doch eine Wohnung, wo schon eine Toilette drin war. Das war auch ein großes achievement, damals. Toiletten in den Häusern…weil es war ja nur die allgemeine Toilette da. Und mein Papa hat auch sein Klavier mitgebracht. Aber er hat nie wieder so gespielt wie früher. Er wollte nicht und er konnte nicht. Er war, wie gesagt, sehr deprimiert.

 

LSY: War das schwer für deine Eltern sich einzuleben?

 

CL: Es war sehr schwer. Meine Mutti war eine sehr liebe und gemütliche Dame. Und sie konnte auf einer Nähmaschine arbeiten. Man hat sie zu einer Stoppmaschine…damals hat man noch Strümpfe repariert. Wenn ich heute daran denke, Strümpfe reparieren! [Lacht.] Heute hat man keinen Schuster und keine Strümpfe und alles wird weggeworfen und neu gekauft. Aber damals hat man noch alles repassiert und repariert. Und sie war sehr fleißig und sehr eifrig und sie hat sofort ihren Platz gefunden im מחסן הבגדים [hebr.: Kleiderlager]. Und sie war sehr beliebt, und eine sehr liebe Frau. Aber mit meinem Papa waren Probleme. Weil zuerst hat man ihm gesagt, er soll…wie gesagt, ein sehr intelligenter Mensch…und er hat sich sehr interessiert für alles und dann hat er sich auch interessiert für den Inkubator von dem Hühnerstall, wo man die Küken…wo die Küken dann zur Welt gekommen sind. Und man hat ihn das aber nicht leiten gelassen, sondern man hat jemanden eingestellt, der das leiten soll. Und mein Papa, der die Prospekte lesen konnte, wusste das besser. Der hat sich das aber nicht sagen lassen und ich kann mich noch heute erinnern wie deprimiert mein Papa war, dass sich dieser Mann das nicht sagen hat lassen. Also, da ist er dort weggegangen und dann hat er Hecken geschnitten. Was nicht so einfach war, aber er hat das auch so mit seinem kolossalen  דייקנות[hebr.: Pünktlichkeit] gemacht.

 

 

1/00:50:55

 

 

Er hat sich nicht sehr gut eingelebt, aber später dann hat man ihn an die הנהלת חשבונות [hebr.: Buchhaltung] gelassen. Und da hat er sehr gut gearbeitet. Aber er hat auch nie mit einer Rechenmaschine arbeiten wollen. Er hat gesagt: „Mit der Rechenmaschine kann ich mich vertippen, aber was ich mit meinem Kopf mache, das stimmt. Und die Kassa muss immer stimmen.“ Schon in Wien hat er uns gesagt…manchmal kommt er so spät nach Hause, weil die Kassa hat nicht gestimmt. Und was heißt die Kassa stimmt nicht? Auch wenn ein Groschen mehr da ist, heißt auch, dass die Kassa nicht stimmt. [Lacht.] Er hatte…ein gewisser Schönpflug, ein Karikaturist, hat ihn gemalt. Er war ein sehr hoher Mann und dann hat er ihn so gemalt wie er über dem…wie sagt man das? Dieses Gestell…geschaut hat, hinunter zu den Leuten, die das Geld ausgeben. Ein sehr pünktlicher…sehr pünktlich. Also, wie er da gearbeitet hat in der הנהלת חשבונות [hebr.: Buchhaltung], da ist er schon zurechtgekommen. Aber wie gesagt, er hat nie gesprochen, nie erzählt, ist nie aus sich herausgegangen. Es war…ich wollte so gerne, dass meine Enkelkinder ihn spielen hören auf dem Klavier. Das wollte er nicht mehr.

 

LSY: Haben die Eltern dann noch Hebräisch gelernt?

 

CL: Ja. Also der Papa hat ganz gut Hebräisch gelernt, meine Mutti kaum. Meine Mutti hat nur die wichtigsten Worte gekannt. Mit meinem Papa konnte man schon Hebräisch sprechen. Also, nicht groß…wir haben aber mit ihnen immer Deutsch gesprochen. Deshalb ist ja das Deutsche auch all die Jahre lang präsent geblieben.

 

 

Ende Teil 1

 

 

Teil 2

 

 

LSY: Und deinen Mann hattest du schon lange davor kennengelernt?

 

CL: Das ist eine andere Odyssee, eine sehr große Odyssee. Wir sind von Masada nach zwei Jahren nach Kfar HaMaccabi gekommen, zur Hachschara. Das war so Usus, dass man die Leute…die גרעינים [hebr.: wörtlich: Kerne, auch in jüdischen bzw. zionistischen Organisationen als Eigenname (Garinim) für Siedlergruppen] hat man wieder auf Hachschara gesetzt, damit sie noch…damit sie lernen, selbstständig ein settlement zu gründen. Und dann hat man uns nach Kfar HaMaccabi transportiert. War auch sehr lustig und wir haben in Zelten gewohnt und dann sind uns bei einem Windsturm alle Zelte davongeflogen, kann ich mich erinnern. Du weißt, wo Kfar HaMaccabi ist? Und da hat man uns aber zusammen…wir haben zusammengewohnt, Mädels und Jungen. Und da ist mir dann das Schreckliche passiert, das einem Mädchen passieren kann wenn ein Junge da ist. Und ich war total deprimiert, ich war total…also down. Total down. Und ich hatte einen sehr guten Freund. Den habe ich schon in Masada kennengelernt, ein Junge, der dazugekommen ist. Ein gewisser Theodore Bikel, wenn du vielleicht den Namen gehört hast? Er ist jetzt ein großer Sänger und Schauspieler in Amerika. Und wir haben uns verliebt, schon in Masada, als Kinder. Aber wir haben keinen Sex miteinander gehabt oder so. Wir waren nur sehr gute Freunde. Und in Kfar HaMaccabi hat man mich nach Haifa geschickt, zu einem Nähkurs. Ich war vier Monate lang in Haifa. Ich kann sehr gut nähen, bis heute eigentlich. Alles, Konfektionen und…Salon und alles. Ich habe meine Kleider selbst genäht und alles. Aber man konnte nicht hin- und herfahren. Es war ja nicht so eine Verbindung. Und ich habe diesen Freund, diesen Theodore Bikel – Meir hat man ihn genannt – verloren. In dieser Zeit. Er hat…wie ich dann zurückgekommen bin nach vier Monaten, nach Kfar HaMaccabi, war er nicht mehr mein Freund. Das hat mich sehr, sehr deprimiert und dann bin ich nach Ramat Yohanan gegangen, weil dort ein Künstler war, der ein Grammofon gehabt hat. Und ich war ja wie gesagt aus einer sehr musikalischen Familie. Mich hat Musik sehr interessiert und da bin ich eben jetzt nach Ramat Yohanan gegangen, Musik hören. Ja, dann habe ich noch vergessen zu sagen, dass ich schon in Wien Gitarre spielen konnte…also Laute. Mein Papa hat gesagt: „Du, da ist eine Laute auf dem Boden von meiner Cousine und sie will die jemandem geben, wenn die jemanden interessiert.“ Und dann habe ich gesagt: „Ja, mich interessiert das sehr. Und ich möchte diese Laute gerne haben.“ Und dann habe ich mich selbst hingesetzt und habe das spielen gelernt, mit einem Hefterl [Heft], wo da solche [unklar] statt Noten waren. Und ich konnte schon Noten lesen, weil ich habe ja Klavier gelernt und ich habe gewusst, was C-Dur ist, und was G-Moll und so weiter. Und dann konnte ich mich begleiten, mit Liedern. Das Gehör habe ich ja gehabt. Man hat mir sogar gesagt, dass ich ein absolutes Gehör habe. Und da habe ich selbst Gitarre spielen gelernt. Und die Akkorde wechseln, wenn dann zu wechseln ist.

 

Und ein gewisser Bela Lifschitz konnte Mandoline spielen. Der war drei Jahre älter als ich. Und er hatte…man hat uns gebeten zusammen im Heim miteinander zu spielen und wir haben uns zusammengesetzt und haben geübt. Ich kann mich noch erinnern, wir haben den Mandolinenmarsch gespielt. [Singt die Melodie.] Und so weiter. Und da haben wir uns so kennengelernt, aber wir haben nicht miteinander gesprochen. Wir haben nur miteinander gespielt, weil er war ja wie gesagt siebzehn und ich war vierzehn. Wir haben nur miteinander gespielt. Aber wie ich dann nach Ramat Yohanan gegangen bin, Musik hören, da war dieser Bela Lifschitz auf Hachschara, der früher mit seinen Eltern nach Kiryat Anavim gekommen ist. Und die sind auf Hachschara geschickt worden nach Ramat Yohanan und dort war ein Künstler, wie gesagt, der Grammofonplatten gehabt. Er hat Dvořák  gehabt und das Klavierkonzert von Beethoven und wir sind da gesessen mäuschenstill und haben das gehört. Immer wieder dieselben Platten in der Bar. Und dann hat man mich…das war eine ganze Wiener Gruppe, die mich dann jeweils nach Kfar HaMaccabi begleitet haben und dann ist es immer derselbe geworden, dieser Bela Lifschitz.

 

 

2/00:06:38

 

 

LSY: Er kam auch aus Wien?

 

CL: Eben dieser Wiener, der dann…dann haben wir uns näher angefreundet und dann sind wir zusammengezogen in ein אוהל משפחתה [hebr.: Familienzelt]. Das war ein sehr schönes אוהל [hebr.: Zelt]. Dann bin ich nach Ramat Yohanan gegangen, um mit ihm zu sein. Und zwar war das…im Allgemeinen waren ja die Zelte mit einem Stamm in der Mitte. Und das אוהל משפחתה [hebr.: Familienzelt], das war mit zwei Stängeln, damit kein Stamm in der Mitte ist. Und wir haben uns Pflanzen aus dem Wald gebracht, aus Ramat Yohanan. Es war ein wunderschönes Zelt und es war alles sehr schön. Aber seine Mutter ist dann gekommen und hat gesagt: „Du, das geht nicht. Entweder ihr heiratet oder ihr geht auseinander.“ Also nicht zusammen schlafen, auf jeden Fall. Auseinandergehen wollten wir nicht, aber für die Hochzeit waren wir noch nicht reif. Aber wir mussten damit einverstanden sein. Und dann war das große Desaster bei meiner Hochzeit.

 

Meine Schwester hat schon vorher geheiratet und zwar hat sie einen Chaver aus Masada geheiratet. Und die Hochzeit hat in Be’er Tuvia stattgefunden. Und es war ein sehr schöner…Be’er Tuvia ist ja ein Moschaw [genossenschaftlich organisierte, ländliche Siedlungsform in Israel.]…und sehr schöne Tische und Beleuchtung und Ballons und eine sehr schöne Hochzeit, und so weiter. Und ich wollte eine Hochzeit haben in Ramat Yohanan, so wie das in den Kibbuzim immer eine schöne Hochzeit wurde. Mit schönen, wunderschönen…hast du einmal eine Hochzeit in einem Kibbuz erlebt? Nein. Also, das war immer sehr, sehr schön. In Masada, auch wunderschön…meine Kinder haben da geheiratet. Und die Eltern von meinem Mann, wie gesagt, von meinem zukünftigen Mann, haben darauf bestanden, dass wir das in Jerusalem machen und zwar in der Familie seines Vaters. Sein Vater war eigentlich ein geborener Israeli. Und er ist aber nach Wien gefahren, weil er blind geworden ist und man ihn da in ein Blindeninstitut gebracht hat, nach Wien, wo er dann geheiratet hat und dann wieder nach Palästina eingewandert ist. Also, nach [19]38. Im Jahre [19]38 schon. Und wir haben gesagt: „[unklar].“ Ich wollte das nicht. „Oh ja, das wird sehr schön sein! Sowie in Be’er Tuvia mit Bäumen, mit Beleuchtung und so weiter.“ Man hat mir da alles vorgestellt. Ich musste da einverstanden sein. Und dann war das genau zu Purim. Weil…das war auch sehr lustig…wir haben uns jeweils getroffen, meine Schwester und ich, einmal im Jahr und zwar zu unserem Geburtstag am 11. März. Und 11. März ist gerade die Zeit, wo man Purim vorliest. Und wir sind dann nach Jerusalem gekommen, am 9. März. Das hat sich so besser ergeben, der 9. März. Und die Leute haben sich überhaupt nicht interessiert für unsere Hochzeit, die haben die מגילת אסתר [hebr.: Das Buch Esther, auch als Eigenname Megillat Esther] dort gelesen. Und mein Mann war…also mein Freund damals war רועה צאן [hebr.: Schäfer], Hüter. Weißt du was das ist? In Ramat Yohanan…und dann hat er ein kleines Kalb schlachten lassen und zwar koscher, damit er das dann koscher nach Jerusalem bringen kann. Und wie er das nach Jerusalem gebracht hat, haben die das weggeworfen und haben gesagt: „Das ist nicht koscher.“ Und das sollte eigentlich die Mahlzeit werden. Und was wir dann doch gegessen haben, weiß ich nicht. Aber dieses [unklar] hat man dann weggeworfen. Und das Interessante ist, meine Eltern waren ja damals noch nicht in Israel. Meine Eltern waren…die Eltern von meinem Freund, von dem Theodore Bikel, die haben unsere ganze Gruppe so irgendwie adoptiert und-- [Es klopft an der Tür.]

 

 

2/00:11:38

 

 

[Übergang/Schnitt.]

 

 

LSY: Du hast davon erzählt, dass…von der Hochzeit.

 

CL: Von der Hochzeit. Wie gesagt, anwesend waren meine Schwester und diese Eltern. Das Elternpaar von dem Theodore Bikel. Mit ihm bin ich befreundet geblieben, noch viele Jahre. Auch mit dem Theo bin ich noch…ich bin heute eigentlich noch mit Theo Bikel in Kontakt. Also sehr vage, weil er ist ein großer Schauspieler geworden, aber er antwortet mir, wenn ich ihn anrufe oder er schreibt mir, wenn ich ihm schreibe. Und sonst war niemand von meiner Familie…nur Leute von Jerusalem, die ich nicht gekannt habe. Ich kannte ja nicht einmal die ganze Familie. Damals war das ja nicht so, dass man dahinfährt und zurückfährt. Die Verbindung war schlecht und das Geld war nicht da. Wir hatten überhaupt keine Verwandten dort. Und ich weiß gar nicht wie viele Leute da waren. Ich kann mich erinnern, es war ein großer Tisch und ich kann mich erinnern, dass er leer war. Was wir gegessen haben, weiß ich auch nicht. Aber irgendwas hat man uns schon gereicht. Und dann war die חופה [hebr.: Jüdischer Traubaldachin, Eigenname Chuppa], das war so ein Desaster. Da diese sieben הקפות [hebr.: Runden, bei jüdischen Hochzeiten umkreist die Braut den Bräutigam siebenmal] und ich hatte ja kein Geld mehr um ein weißes Kleid zu kaufen. Die Eltern von dem Bela Lifschitz haben mir ein Kleid gespendet. Und zwar war es doppelt so teuer wie sie sich vorgestellt haben. Sie haben sich vorgestellt, dass sie vier Lire ausgeben wollen. Und ich wollte ein Kleid, das acht Lire gekostet hat. [Lacht.] Das sind solche Einzelheiten, die einem in Erinnerung bleiben.

 

Und zwar ein sehr schönes Kleid, ein graues Kleid, damit ich damit auch nachher noch gehen kann, damit es einen Wert hat. Und die haben mich so verpönt, dass ich kein weißes Kleid habe und, dass ich keine Jungfrau bin. Und ich habe…damals war ich gerade unwohl und ich hätte das Bett so sehr schon schmutzig machen können mit Blut. Aber das wollte ich doch nicht. Ich bin doch hier zu Gast. Habe ich alles daran getan, damit alles sauber bleibt. Dann hat man diese Fratzen, diese jungen…die kleinen Kinder sind mir nachgelaufen und haben mich angeschrien: „Es war kein Blut im Bett!“, und „Du bist keine Jungfrau!“ Wie gesagt, der schlimmste Tag meines Lebens war die Hochzeit. [Lacht.] Aber das Leben mit meinem Bela Lifschitz war ein sehr schönes Leben.

 

LSY: Ihr seid dann zurück nach Yohanan?

 

CL: Bitte?

 

LSY: Wo habt ihr dann gelebt am Anfang? Seid ihr nach Masada irgendwann wieder?

 

CL: Ja. Wir sind dann…also eine Zeit lang sind wir noch in Ramat Yohanan geblieben, aber ich wollte dann zurück nach Masada, weil meine Schwester meine einzige Verwandte war. Und ich wollte eben da sein, wo auch meine Schwester lebt. Dass das eigentlich ein großes Desaster sein wird für mich, habe ich ja damals nicht gewusst und nicht empfunden, dass es so heiß ist oder so. Das haben wir als Kinder nicht so empfunden. Ich war, wie gesagt, sehr jung. Ich habe geheiratet mit zwanzig Jahren. Also, ich war zwanzig wie ich geheiratet habe. Und--

 

 

2/00:15:47

 

 

LSY: --was sind deine Erinnerungen an den Krieg [19]48 dann?

 

CL: [19]48? Ja. Ganz schlimme Erinnerungen eigentlich. Man hat uns darauf vorbereitet, dass Katjuscha [sowjetischer Mehrfachraketenwerfer] von Syrien oder von Jordanien fallen werden, von den Golan. Und zwar hat man uns gesagt, dass diese Schrapnell, oder wie das geheißen hat, so fliegen, dass sie dann von oben eindringen. Und dann hat man die Kinder…die Babys untergebracht im unteren Stockwerk von dem zweistöckigen Haus. Und ein Baumeister, der gebaut hat in Masada…der Häuser gebaut hat…hat gesagt: „Ich baue shelters.“ Auf seine eigene Idee, sodass schon einige shelters in Masada bestanden haben. Und dann hat man uns eingeteilt…in shelters sagen wir…ich habe auf dieser Seite vom Kibbuz gewohnt und der shelter war auf der anderen Seite vom Kibbuz. Und am 15. Mai, nachdem die מדינה [hebr.: Staat] ausgerufen wurde, haben die ja angefangen zu schießen. Die waren ja damals blöderweise nicht einverstanden mit der ganzen חלוקה [hebr.: Aufteilung] und mit dem ganzen…wenn damals die Araber einverstanden gewesen wären, wie die Israelis, wie die Juden mit der חלוקה [hebr.: Aufteilung], dann hätte es bis heute nicht diesen Zwist gegeben und diesen Krieg und diese ganze… Kurz und gut, am 15. Mai hat das Bombardement begonnen. Ich bin von einer Seite vom Kibbuz zur anderen gelaufen und zwischendrin sind die Katjuschen gefallen. Und wir haben den Befehl bekommen uns hinzuwerfen. Damit wir…und dann ist…eine andere קיבוצניקי [hebr.: Kibbuzniki, Mitglied eines Kibbuz] ist mir entgegengekommen, weil sie in den anderen shelter eingeteilt waren. Also ganz blöd, wenn man heute daran denkt. Und ich bin gelaufen, meinen Sohn abholen, weil der da in dem Haus gewohnt hat, im unteren Stock. Und wie ich mich dahingeschmissen habe, hat sie geschrien: „מה קרה?“ [hebr.: „Was ist passiert?“] Und ich habe gesagt: “! תשכבי  [hebr.: „Leg Dich hin!“] Wirf dich hin! Wir müssen uns…“ [Lacht.] Und dann bin ich angekommen und ich hatte damals Durchfall und man hat mir Pillen gegeben gegen Durchfall. Und ich bin an diesem Abend…ich war sehr realistisch. Ich kann nicht sagen pessimistisch, aber ich war realistisch. Ich habe meinem Mann gesagt: „Du, wir haben ein Radio. Lass uns das eingraben, damit das nicht kaputtgeht, wenn da hier bombardiert wird.“ Mein Mann sagt: „Nichts wird passieren und nichts wird bombardiert.“ Aber ich bin angezogen schlafen gegangen. Irgendwie habe ich mir vorgestellt, dass dieser Angriff stattfinden wird. Und neben mir war nur ein Kamm, kann ich mich erinnern. Und diese Pillen gegen diesen Infekt. Und dann wurde eben Alarm ausgerufen…also eine Sirene hat geläutet…und wir sind aufgesprungen, ich habe das schnell genommen und bin gelaufen, meinen Sohn abholen. Und dann war ich zu schwach ihn zu nehmen, weil ich wie gesagt Durchfall hatte. Dann habe ich jemanden gebeten, er soll meinen Sohn nehmen. Und dann musste man sich ja, wie gesagt…jedes Mal, wenn Bomben gefallen sind, musste man sich hinwerfen. Und dann ist der vor mir gelaufen und hat sich jedes Mal hingeworfen mit dem Baby. Und da habe ich mir gedacht, jetzt ist er kaputt. Jetzt macht er ihm den Kopf kaputt. Ich kann mich bis heute erinnern, wie schrecklich diese paar Sekunden waren, bis man in den shelter gekommen ist.

 

 

2/00:20:56

 

 

Und im shelter waren nur ganz primitive Bedingungen. Man hat nichts vorgesorgt. Es war gar nichts vorgesorgt. Und da war ein anderes Mädel, das Durchfall gehabt hat und dann habe ich der meine Pillen gegeben. Und noch in derselben Nacht hat man uns evakuiert. Noch in der…also, wir haben gar nicht bis in der Früh dort…sind gar nicht bis in der Früh dortgeblieben. Ja, ich kann mich noch an andere Kriege erinnern, mit meiner Enkelin…auch shelter…andere Geschichte. Und unser…der Chauffeur unseres…man hat uns dann evakuiert nach Kinneret, Moshav Kinneret. Und ich kann mich noch erinnern, die Leute haben geweint und waren sehr verzweifelt – die Mütter – und ich habe gesagt: „Setz dich jetzt hin und still dein Kind! Und hör auf zu weinen!“ Und ich habe…weiß gar nicht, warum ich das war. Aber ich habe wahrscheinlich die Geistesgegenwart behalten und ich war stark genug zu organisieren, dass die Matratzen aufgelegt wurden, damit jeder schlafen kann. Und für mich ist kein Platz geblieben für eine Matratze. Ich kann mich noch erinnern, dass ich da stehen geblieben bin und im Stehen irgendwie versucht habe zu schlafen. Wenn ich heute daran denke, das ist total verrückt. Aber so war das. Und dann hat man uns nach Haifa evakuiert. Auch schon am nächsten Tag in der Früh, glaube ich. Ich glaube, wir haben nur eine Nacht da in Kinneret verbracht. Und da war ein Haus, das der britischen Armee gehört hat und das hat man uns zur Verfügung gestellt. Und vier Mütter mit ganz kleinen Kindern…da war mein Sohn ja erst zwei Monate alt, zweieinhalb, drei Monate. Das war im Mai, er ist im Februar geboren. Und da hat man uns, diese Mütter mit den kleinsten Kindern, in das Rothschild-Spital gebracht. Das war sehr gut. Da waren wir sehr gut untergebracht.

 

Ich kann mich nicht erinnern mehr, an keine Lokalität oder was. Ich kann mich nur erinnern an eine Fotografie, wie die Babys dann…es waren zwei Zwillingspaare und mein Sohn. Fünf Kinder waren da auf einem Tisch…hat man uns fotografiert. Und meine Tochter, die war damals schon zweieinhalb Jahre alt. Die ist mit allen in einem anderen Haus untergebracht worden. Und ich bin dann zu Fuß da hinuntergegangen zum Karmel [Gebirge], wo dieses Haus war, auf dem Karmel. Und Rothschild ist ja auch auf dem Karmel, aber irgendwie weiter. Wir mussten eine britische Kontrolle passieren. Aber die haben mich dann durchgelassen, weil ich gesagt habe: „Ich möchte meine Tochter besuchen und ich komme dann wieder zurück.“ Man hat mich dort schon gekannt, man hat mich durchgelassen. Und meine Schwester hat sich in erster Linie auch um meine Tochter gekümmert. Sie hat auch schon eine kleine Tochter gehabt. Und sie hat sich dann um beide gekümmert. Und dann sind wir nach einer Weile, wie die Kinder dann ein bisschen größer geworden sind…wir waren ja fast ein ganzes Jahr da in Haifa. Inzwischen hat man Masada total bombardiert und total ruiniert und verbrannt und…vier Tage lang haben die Araber da alles zerstört und alles geplündert. Weil es war…eine Kanone hat es gegeben in Israel und diese Kanone hat man nach Poriah bringen sollen und hat sie aber nach Jerusalem kommandiert. Und während diesen vier Tagen wo die Kanone nicht angekommen ist, hat man sowohl Sha’ar HaGolan als auch Masada und die ganze Front…hinter der Front hat man total demoliert. Und am vierten Tag ist dann diese Kanone in Poriah aufgestellt worden und in dem Moment, wo man angefangen hat zu schießen, zu bombardieren, sind die Araber davongelaufen.

 

 

2/00:26:35

 

 

Ich bin dann…ich komme dann noch zurück nach Masada, aber jetzt möchte ich noch sagen: Ich bin dann zurückgekommen zu diesem Haus, wo alle gewohnt haben. Man hat uns dann Kleider verschafft. Wir hatten ja nichts anzuziehen. Gar nichts. Wir sind ja…so wie wir waren, sind wir ja heraus aus den Häusern. Und mein Mann hat alle Kleider, die ich gehabt habe…ich habe mehr Kleider gehabt wie jemand anderer: Man hat mir…aus Amerika haben mir meine Cousinen Kleider geschickt. Sehr schöne Kleider. Und er hat alles in einen Sack gestopft und wollte das nach Haifa schicken. Und dann hat einer…ein Nachbar hat ihm gesagt: „Was soll sie dort damit machen? Sie hat doch kein Bügeleisen.“ Und dann hat er den ganzen Sack da stehen lassen. Und dann war ich ein ganzes Jahr lang ohne Kleider. Und mein einziges Kleid war schon ganz zerschlissen, kann ich mich erinnern. Und wir konnten nirgends hin, weil wir hatten kein Geld und wir hatten kein…waren nicht angezogen. Wir sind zu diesem Kabarett da, LiLaLo, sind wir von rückwärts hingegangen und haben da gekiebitzt, damit wir irgendwas sehen und hören, wie die da gesungen haben.

 

Und inzwischen ist mein Schwager umgekommen. Er hat…er war der Hauptbefehl…was weiß ich…in Masada von der ganzen Munition und ganzen…und er hat Handgranaten auseinandergenommen. Und ein Mann aus Afikim hat ihm gesagt: „Lass das sein! Ich schicke einen Mann, der das versteht, jemanden, der das richtig kann.“

 

 

[Übergang/Schnitt.]

 

 

Und er hat sich das nicht nehmen lassen. Und dann ist…ein Schrapnell ist ihm in der Hand explodiert. Und so ist er umgekommen und der Freund, mit dem er gearbeitet hat ist auch verwundet…tödlich verwundet. Und dann ist man nach Haifa gekommen und hat meiner Schwester gesagt, sie soll kommen, ihr Mann ist verwundet. Und ich habe gesagt: „Ich fahre mit.“ Warum man uns nicht gleich die Wahrheit gesagt hat und warum man mir nicht gleich gesagt hat, ich soll nicht…ich soll mitkommen, weiß ich nicht. Aber ich war froh, dass ich mitgekommen bin, weil es war nicht mehr Spital, sondern es war schon Begräbnis. Es war eine sehr, sehr traurige Sache. Und meine Schwester war sehr stark. Sie wollte nicht weinen, sie wollte nicht zeigen, wie traurig sie ist. Sie hatte ja auch schon zwei Töchter. Und dann haben wir uns alle nicht erlaubt zu weinen, weil wir sie nicht schwach machen wollten. Und dann…und mein Mann wurde nach Haifa gebracht, weil er einen Schock bekommen hat von einem Schrapnell, das neben ihm gefallen ist. Und dann war er so schockiert…wie sagt man das noch? Kann mich jetzt nicht erinnern, wie das heißt. Er war total…ich weiß jetzt nicht mehr, wie das heißt. Also, er war total down.

 

 

2/00:30:35

 

 

LSY: Traumatisiert.

 

CL: Ja…und schockiert. Und dann hat man ihn nach Haifa gebracht, aber er war auch nicht sehr…zurechnungsfähig kann man nicht sagen, aber er war nicht sehr…ermunternd. Irgendwie hat man uns dann von dem… רכוש הנטוש[hebr.: verlassenes Eigentum] hat das geheißen, was die Araber stehen gelassen haben, wie sie aus Haifa davongelaufen sind. Da hat man uns dann irgendwelche Kleider gebracht, damit wir irgendwas zum Anziehen haben. Also Wäsche oder Handtücher, oder irgendwelche Sachen hat man uns dann verschafft. Wir waren fast ein ganzes Jahr lang in Haifa. Langsam sind dann die…ja, wie man Masada verlassen hat, das ist auch eine andere Geschichte. Warum man überhaupt Masada verlassen hat. Die Leute…es sind ja nur einige Männer dageblieben. Weil die Frauen mit den Kindern hat man, wie gesagt, evakuiert. Und die sind aber in erster Linie in den shelters gewesen. Und eines Tages ist jemand vom Sha’ar HaGolan nach Masada gekommen, schauen, ob da noch jemand ist. Und da war niemand, weil die Leute waren ja nicht oben oder irgendwo, sie waren in den shelters. Da hat er aber nicht hingeschaut. Und dann ist er nach Sha’ar HaGolan gegangen und hat gesagt: „Die Masader haben schon verlassen.“ Und haben dann Sha’ar HaGolan verlassen. So, dass man in Masada gesehen hat, dass man Sha’ar HaGolan verlässt. Die mussten an Masada vorbei. Und dann hat man auch Masada verlassen. Warum ich das erzähle? Weil es jahrelang darum gegangen ist, wer hat früher verlassen? Wer war schuld, dass man die settlements verlassen hat. Es hätte ja auch nichts geholfen. Man hatte einige verrostete tschechische Ruvim gehabt, also Gewehre. Und das andere war alles…und die Syrer und die…die hatten damals schon tanks, also was damals tanks geheißen hat. Große tanks waren das ja nicht, aber immerhin. Zwanzig tanks gegen sechzehn tschechische Gewehre, das wäre sowieso nichts geworden. Und deshalb ist es dazu gekommen, dass man eben Masada und Sha’ar HaGolan sozusagen erobert hat. Und man hat uns Jahre lang vorgeworfen, dass wir davongelaufen sind. Und meine Tochter, die war schon in der Hauptschule, im Gymnasium, das heißt בית ירח [hebr.: Eigenname Beit Yerach], in einer Schule und dann man die Masada-Kinder sehr schikaniert. Speziell die Kinneret-Kinder, die doch überhaupt nicht in Gefahr gewesen sind. Und die Degania-Kinder haben die Kinder von Masada sehr schikaniert: „Ihr seid davongelaufen.“ Und erst vor ein paar Jahren hat ein Archeonist gesagt…jemand, der ein [unklar] geführt hat.

 

LSY: Ein Archivar.

 

CL: Im Jordantal…hat diese Rehabilitation herbeigeführt und hat bewiesen, nach gewissen Dokumenten, die auch Jahre lang nicht zur Verfügung gestanden sind, dass der Mosche Dajan [israelischer General und Politiker] mit Bewusstsein diese settlements freigegeben hat und sozusagen יפקיר אותם [hebr.: er hat sie aufgegeben], weil er gesagt hat: „Ich kann diese Front nicht verteidigen, nur bis Degania.“ Und alles, was drüber war, Masada, Sha’ar HaGolan, Aschdod und die ganzen settlements waren alle…wurden alle evakuiert…und man hat uns das aber nicht gesagt. Wenn man uns rechtzeitig gesagt hätte, wir sollen uns da…wir sollen evakuiert werden, dann wäre es…hätte das anders ausgesehen. Aber, wie gesagt…jetzt hat man diese Rehabilitation herbeigeführt. Aber wie ich hierhergekommen bin, zum Beispiel…ich bin hierhergekommen, nur zu Besuch. Da war ich noch nicht…nur so für ein paar Tage, um zu sehen ob es mir gefällt. Bin ich so in einem Kreis gesessen mit ein paar Leuten, die da auf der Veranda gesessen sind. Und dann hat man mich gefragt woher ich bin. Aus Masada. Und da hat mich sofort einer der Leute angegriffen und mir sozusagen zu wissen gegeben, ich sollte lieber sterben und nicht weglaufen. Noch hier.

 

LSY: So lange ist das bei den Leuten--

 

CL: --erst jetzt vorige Woche ist er gestorben. Ich habe die ganze Zeit nicht mit ihm gesprochen. Ich bin schon fünf Jahre hier. Ich habe nicht mit dem Mann gesprochen. „Für dich war ich tot.“ Aber stell dir vor, schon nach so vielen Jahren, noch immer jemand, der so denkt. Aber ich habe mich damals sehr mit Leuten angefreundet, die schon hier gelebt haben. Eine Wienerin hat sich zufällig neben mich gesetzt. Und die haben mich sehr ermuntert, weil die ganze Zeit in Masada, bis ich hierhergekommen bin, das war eine Katastrophe. Das ist ein anderes Kapitel.

 

 

2/00:37:14

 

 

LSY: Ihr seid dann aber nach dem Krieg wieder zurück nach Masada? Und du hast eigentlich dein Leben in Masada verbracht?

 

CL: Ja. Dann sind wir…langsam hat man dann die Kinder nach Masada gebracht. Man hat gesagt: „Die Männer können so nicht dort sein, wenn das so einsam ist, damit ein bisschen Leben da hineinkommt.“ Also auch mit primitivsten Bedingungen. Man hat dann sehr schnell Wohnungen zur Verfügung gestellt und neu erbaut. Damit man da wohnen kann und die Küche und so weiter. Und dann sind wir nach Masada zurückgekommen, das wiederaufbauen…und wirklich effektiv, von Anfang an.

 

LSY: Musstet ihr das Ganze wiederaufbauen?

 

CL: So, dass ich eigentlich dazugehöre zu den ersten members von Masada, obwohl ich nicht zu den ואתיקים [hebr.: Veteranen] gehöre. Die ואתיקים leben schon…bis auf eine leben die alle schon nicht mehr. Ja, das fängt jetzt an, das Leben in Masada. Also, so lange wir da noch irgendwie gut aufgehoben waren…es war alles noch sehr schön, aber nach dem…sehr bald war ja dann der [19]56er-Krieg. Wieder ein Krieg. Und dann war der [19]67er-Krieg. Also man hat andauernd von Krieg zu Krieg gelebt. Dann sind wie gesagt meine Eltern gekommen und wir haben ihnen unser Zimmer zur Verfügung gestellt. Wir haben in einem Betonzimmer gewohnt und…es war noch keine Wohnung für meine Eltern da. Und wir sind in eine צריף [hebr.: Baracke], in eine Holzbarracke, wohnen gegangen, mit meiner Familie, das die Kinder sehr geliebt haben. Sie haben es das rote Zimmer genannt und sie sind…war sehr heimelig. So ein rotes Zimmer. Und ja, ich habe ein sehr schönes Leben gehabt mit meinem Mann. Obwohl nicht alles so gut funktioniert hat, aber wir haben uns sehr gut verstanden. Wir waren wie gesagt beide sehr auf das Musikalische eingerichtet. Mein Mann hat auch sehr gerne Opern gehabt und…wir haben ein sehr schönes Leben gehabt. Wir haben vier Kinder zur Welt gebracht. Und…

 

 

2/00:40:08

 

 

LSY: Habt ihr miteinander eigentlich Deutsch oder Hebräisch gesprochen?

 

CL: Nein. Nein, wir haben Hebräisch miteinander gesprochen. Wir haben uns hebräisch kennengelernt, wir haben Hebräisch miteinander gesprochen. Wir haben nur in Gegenwart der Eltern Deutsch gesprochen. Seine Eltern, glaube ich…mit seinen Eltern haben wir auch Hebräisch gesprochen. Seine Eltern waren auch…sein Vater war ja überhaupt ein Israeli. Er hat sich ganz fantastisch zurechtgefunden, dieser Mann. Er war ein Korbflechter. Und er ist mit mir gegangen und hat Prüfungen gemacht: „Jetzt gehen wir an einem Haus vorbei und jetzt geht hier ein Autobus.“ Er konnte ja allein gehen, er konnte sich allein zurechtfinden. War ein fabelhafter Mensch. Und seine Mutter ist noch nach Masada gekommen…wie der Vater gestorben ist, ist seine Mutter noch nach Masada gekommen. Und diese Eltern von dem Theodore Bikel sind mich auch in Masada besuchen gekommen. Sie waren…meine Kinder waren ihre Enkelkinder. Bis an ihr Ende haben sie mich gerngehabt und es hat ihnen leid getan, dass das nicht zustande gekommen ist mit dem Theo. Ja, sie wollten, dass ich ihre Schwiegertochter werde. Ich bin sozusagen ihre Schwiegertochter geblieben. [Lacht.]

 

 

Ende Teil 2

 

 

Teil 3

 

 

LSY: Und was hast du so beruflich gemacht?

 

CL: Was ich beruflich gemacht habe? Oh, da muss ich mir einen tiefen… [Trinkt einen Schluck Wasser.] Also, im Kibbuz macht man ja in erster Linie alles Mögliche. Man ist sozusagen P’kak [hebr.: פקק, wörtl.: Kork, Eigenname für ArbeiterIn, die/der alle möglichen Arbeiten übernimmt] und man arbeitet da ein paar Stunden, dort ein paar Stunden. Ich kann mich noch erinnern, ich war in Ramat Yohanan, da hat man mich überhaupt zwei Stunden da und zwei Stunden da…du, bediene dich…mit irgendwas. [Lacht.] Und dann komme ich einmal irgendwohin zu spät und dann sagt sie: „Du bist zu spät.“ Sage ich: „Ja, man hat mich eingeteilt da und dort, aber man hat mir nicht eingeteilt, wann ich auf die Toilette gehen kann.“ [Lacht.] Und dann hat man mich eingeteilt, die Toiletten dort sauber zu machen. Und dann war das so sauber und dann hat man gefragt: „Wer macht das?“ Und dann hat man gesagt: „Das ist die בחורה [hebr.: Mädchen] von dem Lifschitz.“ [Lacht.] Ich habe mir einen Namen erworben als Sanitär…Sanitär gut machen. [Lacht.] Also ich habe alles gemacht und ich habe ja wie gesagt nähen gelernt. Ich bin dann sehr schnell in die Nähstube gekommen. Ich habe dann Kleider genäht und ich konnte auf der Trikotmaschine arbeiten. Ich habe die besten מכנסיים [hebr.: Hosen] genäht, weil das muss man können. Das ist nicht nur, dass man den Schnitt lernt und so, sondern man muss auch die Figur anschauen, weil es gibt Leute, die haben eine ganz große Oberfigur und einen ganz kleinen Popo. [Lacht.] Und dann muss man das dann so machen. Ich konnte das und das wurde sehr gelobt. Und ich war begabt für Handarbeiten – wie gesagt – und man hat mich geschickt…ich weiß schon wie das angefangen hat. Ich war auch Pflegerin für Kinder. Ich war auch Kindergärtnerin und ich war Pflegerin für Kinder…alles macht man da durch. Und als Kinderpflegerin habe ich dann auch mehr gemacht als jede…jeweils jemand anderer, muss ich schon sagen. Außer, dass man da die Kinder in die Schule schicken musste…in der Früh die Kinder aufwecken. Die haben ja alle in Kinderhäusern gewohnt. Und dann musste…die מתפלת [hebr.: Kindermädchen] musste da kommen, die Kinder aufwecken und da zusehen, dass sie da anständig angezogen sind und Mäntel mitgenommen haben und Schulsachen nicht vergessen. Und ich habe den Kindern auch mit den Schulaufgaben geholfen. Und gleichzeitig habe ich dann stundenlang gebügelt. Und in den Ferien habe ich mit ihnen…da hat man mich dann geschickt…ich soll lernen mit den Kindern etwas in den Ferien zu machen, sagen wir zu Pessach oder so. Und dann haben wir das sehr gut ausgenützt, weil ich mache immer alles so…mit Ernst. Ich nehme immer alles sehr ernst. Und wir haben sehr, sehr viele Sachen gebastelt. So Tiere aus Strümpfen und all die kleinen Webereien. Und was ich da gelernt habe in diesen paar Tagen, habe ich dann auch gemacht mit den Kindern und dann haben wir eine Ausstellung gemacht. Und dann hat man gesagt, dass so eine schöne Ausstellung noch nie in Masada war.

 

Kurz und gut, nach einiger Zeit sind dann…

 

 

[Übergang/Schnitt.]

 

 

…Kinder gekommen, so eine Gruppe aus Irak. Und dann wollte man eine Pflegerin und dann wollte man auch eine Handarbeitslehrerin. Dann hat man gesagt: „Chava soll eine Handarbeitslehrerin werden.“ Und man hat mich dann geschickt…ich solle das lernen. Und zwar hat man mich nach Oranim geschickt. Zuerst hat man mir 40 Kinder in die Klasse geschickt und ich sage: „Was soll ich mit 40 Kindern machen?“ Und dann habe ich sie zuerst einmal geteilt, damit da zwanzig…nur noch zwanzig sind. Und dann habe ich meinem kleinen Sohn, der war damals acht, irgendwelche Sachen gegeben. [Kuckucksuhr läutet.] Solche מפיות [hebr.: Servietten] mit רפיה [hebr.: Bast], mit Bast. Und wenn er das konnte, dann habe ich gewusst, dass diese zwölfjährigen Kinder das auch zusammenbringen werden. Er war so mein Versuchskaninchen. Und eines Tages sagt mir eine andere Handarbeitslehrerin, die in der Schule gearbeitet hat: „Du, weißt du was, geh’ nach Oranim und lerne Kartonage. Das kannst du dann mit den Kindern machen.“ Wenn ich dir sage, was Kartonage ist…das ist mit einem scharfen Messer genau messen und Karton schneiden, mit einem japanischen Messer. Das alles ganz fix, damit das alles pünktlich funktioniert. Das wäre überhaupt nicht gegangen. Aber ich bin dann in Oranim auf der Wiese gelegen und der Leiter ist zu mir gekommen – der Leiter von Oranim – und hat gesagt: „Weißt du, du zahlst hier den ganzen Tag. Du kannst dir auch noch andere Klassen aussuchen.“ Und ich wollte ja nicht dort תנ״ך [hebr.: Bibel] lernen oder Historie und dann bin ich noch in eine andere Klasse gegangen, wo noch arts and crafts unterrichtet wurde. Und die haben da so ein Fries gemacht…irgendwelche Schere…schneiden, so. Und ich habe mir die ganze Zeit gedacht: „Was mache ich da? Was mache ich da? Das sind Künstler! Und ich kann doch gar nichts!“ Und dann, wie die da fertig waren, haben wir angefangen Puppen zu machen. Handpuppen. Und ich hatte keine Ahnung, aber wir hatten einen sehr guten Lehrer.

 

 

3/00:07:04

 

 

Man nimmt so einen Stab und man macht so eine צמתות [hebr.: etwas Geflochtenes, Zöpfe] darauf und dann gibt man Klee darüber und formt. Und irgendwie ist mir das gelungen. Und er hat mich darauf aufmerksam gemacht, wo die Augen sind und wie ich das machen soll. Ist eine wunderschöne Puppe herausgekommen. Er hat sie mir dann auch weggenommen. Er wollte sie beteiligen an der…an einem Stück das man da vorgeführt hat. Und dann hat er die Puppe nicht mehr gefunden. Und ich war sehr traurig. Aber ich konnte schon Puppen machen und das habe ich mit den Kindern gemacht. Mit diesen irakischen Kindern, diese Puppen. Da ist dann ein…wie sagt man das? Ein Inspektor gekommen und hat gesagt, sowas Schönes hat er noch nie gesehen. Und die Kinder waren so begeistert, die haben wunderschöne Puppen gemacht. Ich habe bis heute noch Aufnahmen davon. Und so bin ich ins Puppentheater gekommen. Ich habe dann immer wieder Puppen gemacht und so bin ich auch zur Keramik gekommen. Es war im Jordantal auch eine Keramiklehrerin. Da bin ich auch hingegangen. In Afikim war ein Keramikkurs und dann habe ich diese ganzen Sachen da gemacht und alle schönen Sachen. Und dann bin ich auch nach Tel Hai. Man hat mich dann in Masada…hat man mich dann zu verschiedenen ימי עיון [hebr.: Seminar] gehen lassen. Weil ich habe dann ein Arbeitszimmer bekommen. Man hat dann gesehen, ich habe da solche Bastarbeiten, Bastkörbe gearbeitet mit den Kindern. Da bin ich noch mit dem ganzen Zeug in den dining room gegangen und habe die Leute versammelt und haben da schöne Sachen gemacht. Und inzwischen habe ich dann noch Sachen dazu gelernt und dann hat man mir einen Raum zur Verfügung gestellt. Und zwar war das unter der Bühne. Da war schon…eine בית תרבות [hebr.: Kulturhaus] hat man damals schon gebaut und unter der Bühne, der ganze Raum unter der Bühne war dann mein חדר מלכה [hebr.: Königinnenzimmer]. Und da habe ich dann langsam mehr und mehr hineingebracht. Ich habe während zwanzig Jahren…zwanzig Jahre lang, wie ein Metronom, Woche für Woche Kurse gegeben dort, die Leute unterrichtet. Was du sagst, haben wir gemacht. Ich habe inzwischen Webstühle hineingestellt. Wir haben gewoben. Ich habe so ein großes Gerät gehabt, wo ich diesen Teppich gewoben habe. [Zeigt auf den Teppich.] Wir haben einen Keramikofen gehabt. Ich habe alle Glasuren alleine gemacht, ich habe alles gebrannt. Also ich war wirklich…zwanzig Jahre lang hat man alles gemacht, wunderbare Sachen, wunderbare Ausstellungen und alles. Und dann wollte ich eigentlich Lehrerin werden, in der Schule, und ich hatte aber überhaupt kein Zeugnis. Keine Matura, kein Abitur und gar nichts. Und ich bin ein ganzes Jahr lang nach Haifa gegangen in eine Schule von WIZO [Women’s International Zionist Organization].

 

 

3/00:10:53

 

 

Und habe da mit 40 Jahren gearbeitet, mit sechzehnjährigen Kindern. Und auch in Oranim war ich ja Externe, weil ich war viel älter. Aber man hat das sehr gerne gesehen, weil ich habe da den Ernst hineingebracht. Und ich habe die Kinder unterrichtet. Ich habe den Kindern mit den Nähmaschinen geholfen. Das waren ja Nähmaschinen, die nicht motorisiert waren. Und ich habe ihnen geholfen, die Webstühle…also einzufädeln und das alles. Und nach diesem Jahr, wo ich auch meinen Gitarren-Unterricht gefördert habe und auch Gitarren-Unterricht genommen habe…ich habe bei dem besten Lehrer in Haifa gelernt und habe eine Schülerin unterrichtet. Und sie habe ich jede Woche unterrichtet, damit sie mich bezahlt, damit ich einmal in zwei Wochen meinen Lehrer bezahlen konnte. [Lacht.] Und wie ich dann zurückgekommen bin, hat man mir gesagt: „Okay, jetzt kannst du Lehrerin werden.“ Und so habe ich vier Jahre lang unterrichtet in Ginnossar und in unserer Schule…in der Realschule, im Gymnasium. Wie gesagt, ich habe immer wieder Puppen gemacht und eines Tages habe ich eine…haben wir ein Stückchen organsiert, zu Purim. Und ich habe so ein kleines Dings da geschrieben und dann haben wir ein…und der Kollege von mir, der mit den Buben gearbeitet hat und die Holzarbeiten gemacht hat, der hat mir eine Bühne gebaut. Aber alles so primitiv und mit Vorhängen, die man so auseinanderziehen konnte, mit Schnürchen und so weiter…und dann Beleuchtung. Kurz und gut, alles sehr primitiv, aber wir konnten damit auftreten, so ein Kasperltheater. Und dann ist eine Einladung gekommen vom Erziehungsministerium aus…wir sollen da an einer competition teilnehmen, mit Puppentheater. Da habe ich mir gedacht, das ist gerade gut für mich. [Trinkt einen Schluck Wasser.]

 

Wir haben gerade dieses Stück fertig und wir fahren dahin. Und da komme ich nach [unklar] und da sind solche fantastischen Puppen und solche fantastischen Bühnen und Ausrüstung und Kulissen und Beleuchtungen und alles. Und dann habe ich zu unserem Lehrer gesagt: „Komm’, wir laufen davon, wir haben da nichts zu suchen.“ Und er hat gesagt: „Wir können aber unsere Kinder jetzt nicht enttäuschen. Und wir performen und fahren dann wieder nach Hause.“ Und dann ist die ganze Batterie von Inspektoren dagesessen und ich habe schon gesehen…ich war mit den Kindern hinter der Bühne, so hinter dieser Jute da und konnte sehen, dass sie sich sehr ergötzen und sehr freuen. Und nachher ist einer zu mir gekommen und hat gesagt: „Weißt du was, wir möchten, dass du das ein bisschen mehr…sauber ausarbeitest und die Beleuchtung und alles.“ Ich hatte keine Tendenz dazu. Ich war Handarbeitslehrerin, ich wollte noch viel mit den Kindern machen. Ich wollte mich nicht nur mit diesem Puppentheater da befassen. Und dann habe ich nach zwei Wochen die Bestätigung bekommen: Ihr habt den ersten Preis gewonnen. Weil die Mimik der Puppen war die beste und die Performance war die beste und deshalb wollten sie, dass ich die Bühne jetzt verbessere und, dass ich das alles noch schöner ausarbeite, damit ich an der competition in Jerusalem teilnehmen kann, wo alle Puppentheater kommen. Habe ich gesagt: „תודה רבה [hebr.: vielen Dank], mir genügt erster Preis im Norden. Ich brauche nicht den ganzen…wir machen nichts mehr mit dem Puppentheater.“ Aber das habe ich dann alle Jahre lang noch weiter ausgenützt und auch wie ich da in [unklar] gearbeitet habe, haben wir wunderbare Sachen gemacht. Und dann ist eines Tages jemand gekommen und hat gesagt, man braucht deinen Platz in dieser Hauptschule. In Ginnossar hat man gesagt, nach zwei Jahren bist du fertig, weil wir machen eine…wir lassen eine bodenständige…eine Dame aus Ginnossar lernt jetzt in Bezalel [Kunstuniversität in Jerusalem] und wenn die fertig ist, dann kommt die her.

 

LSY: Dann wird die Lehrerin.

 

 

3/00:16:09

 

 

CL: Was sich dann herausgestellt hat…und gleichzeitig ist in [unklar] auch aus gewesen, weil man da eine andere Lehrerin einstellen wollte, aus Aschdod. Sie haben eine Lehrerin und die muss angestellt werden. Und ich habe die noch instruiert und ihr noch alles Mögliche erklärt. Und nach einiger Zeit hat sie mir dann gesagt: „Chava, wenn ich gewusst hätte, dass ich dich deshalb davon wegschicke, hätte ich…wäre ich da nie einverstanden gewesen!“ Aber ich habe ihr noch alles gezeigt, sie hat keine Ahnung gehabt von etwas. Und erst wie ich weg war, hat man verstanden was sie verloren haben. Wir haben so viel gemacht, Lederarbeiten und…unheimlich. Kurz und gut, das war die Epoche mit…Handarbeit und wie ich nach Hause gekommen bin, hat man gesagt: „Die Chava mit den goldenen Händen soll eine Strickmaschine bekommen.“ Und so habe ich siebzehn Jahre lang eine Strickmaschine gehabt, mit der ich alle Pullover für den ganzen Kibbuz, für die Kinder und für die Erwachsenen gestrickt habe. Auch die besten Sachen, die…wunderschön. Nach einiger Zeit hat man mich angerufen aus Ginnossar: „SOS, die Lehrerin verliert die Kinder!“ Weil auch mein Kollege hat mir gesagt, es ist das erste Mal, dass die Mädchen bei der Lehrerin bleiben und nicht davonlaufen. Und diese Lehrerin hat die Kinder nicht zu interessieren verstanden. Dass sie sehr begabt war oder Kupferstiche machen konnte, das hat der nicht geholfen. Wenn man die Kinder nicht zu interessieren weiß, dann laufen sie davon. „Komm’ zurück! Komm’ wenigstens eine Stunde, wenigstens zwei Stunden!“ Habe ich gesagt: „Das hättet ihr euch früher überlegen müssen. Jetzt arbeite ich an der Strickmaschine und das geht nicht zusammen mit noch etwas.“ Und das habe ich wie gesagt siebzehn Jahre lang gemacht und während dieser Jahre auch diese Kurse…das war ja am Abend, gleichzeitig. Und eines Tages haben meine Enkelkinder Computerunterricht bekommen, weil sie sehr begabt waren. So hoch intelligente Kinder…מחוננים [hebr.: Begabte], wie man das sagt bei uns. Und das hat mich dann auch interessiert. Habe ich gesagt: „Das interessiert mich, ich möchte einen Computer haben.“ Und ich bin nach Kanada gefahren, als Babysitter für meine Enkelin, die damals zur Welt gekommen ist, damit ich die größeren Enkelkinder behüte. Und wie ich zurückgekommen bin, war schon ein Computer da. Mein Mann hat einen Computer gekauft. Das hat ihm auch gefallen, hat ihn auch interessiert.

 

Und was ich noch vergessen habe zu sagen, ich habe mich inzwischen – schon immer – für Sterne interessiert. Und ich bin auf die Sternwarte gefahren, mit meinem Teleskop. Ich hatte ein Teleskop. Und ich habe mir damals die Hand gebrochen auf…in Mitzpe Ramon. Und ich konnte damals nicht stricken, weil mit gebrochener Hand kann man keine Maschine bedienen. Aber ich konnte auf diesem Computer tippen. Und habe dann ein Buch gehabt…wir haben in Deutschland Bücher eingekauft…das geht so alles so durcheinander…weil ich wollte das nicht dann nur Englisch…damit ich es nicht so schwer habe. Und dann sage ich zu meinem Mann: „Du, dieses Logo, ich glaube, der Ori hat gesagt, dass er Logo lernt. Komm’, kaufen wir dieses Buch!“ Und mit diesem Logo bin ich gesessen, und habe alleine dieses Logo erlernt. Logo ist eine Zeichensprache, wenn ich dir so primitiv sage: „Geh 50 nach vorn! Geh seitwärts, rechts, 90 Grad und mach das viermal, dann bekommst du ein Quadrat.“ Das ist so: Logo. Mit diesem Logo kann man dann alles Mögliche entwickeln und man kann solche Deckchen machen und Türme bauen und alles Mögliche. Und damals das waren noch…im Computer, computing [unklar]. Nicht so: „Nimm den Mozart und stell ihn da hinein.“

 

 

3/00:21:23

 

 

[Übergang/Schnitt.]

 

 

Wenn ich den Mozart nehmen wollte, dann muss ich die Melodie mit den einzelnen Noten eingeben. Eine Note hat ein pitch und eine Höhe, und eine Länge und so weiter. [Lacht.] Das musste alles in den Computer eingegeben werden. Und wenn ich wollte, dass der so vorwärts geht, musste ich sagen: „Plus 2“, und so weiter. Aber die Kinder haben das sehr gerne gehabt. Und wie bin ich zu dem Unterricht gekommen? Ich bin dann mit diesem [unklar], das ich da gemacht habe, das ich da allein fertig gestellt habe, bin ich dann zu einem Computerlehrer gegangen, in unserem Gymnasium und habe ihn gefragt, was man mit einem Computer machen kann. Und inzwischen hat er gesehen, was ich gemacht habe. Und er hat gesagt: „Ich möchte gar nicht…dass du gar nichts machst. Ich möchte keine Kinder haben, die schon was können.“ Das wollte ich auch nie. Aber das wollte ich ja gar nicht, ich habe nur schon gleich verstanden, dass in diesem Computer etwas Großes drinsteckt. Und ich wollte wissen, was kann man noch mit dem Computer machen? Und dann war unsere Sitzung schon zu Ende und er sagt mir noch im letzten Moment: „Interessierst du dich für Astronomie?“ Und das war meine Schicksalsstraße…meine Schicksalsfrage.

 

Wie fragt ein Mann dann eine Frau, ob sie sich für Astronomie interessiert. Und ich sage: „Ich interessiere mich sehr für Astronomie. Ich habe sogar ein Teleskop.“ Und dann ist er zu mir gekommen, und wir haben miteinander Galaxien gesucht. Und ich kenne mich aus mit dem…שמים [hebr. Himmel]…wunderbar…wo die Andromeda ist. Jetzt haben wir neuerdings wieder jemanden, der darüber spricht. Hat er gefragt, sagt er: „לא [hebr.: nein] Chava!“ [Lacht.] Ich soll nicht antworten. Und das war eine sehr, sehr schöne Zeit. Ich hatte ja eine wunderschöne Wiese, eine ganz große Wiese in Masada. Ein wunderschönes Haus. Schon hinter mir, nur eine meteorologische Station. Und dann nur der Gilat und der Golan und sonst nichts. Und eine große Wiese mit Bäumen, mit einem Nussbaum, mit einem Pomelo…aber mit Himmel und mit Sternen! Und da konnte ich mit meinem Teleskop die Sterne suchen. Und eines Nachts hat er mir gesagt: „Du, ich habe keine Zeit mehr dieses Logo zu unterrichten, vielleicht löst du mich ab.“ Und ich sage: „Ich kann doch gar nichts.“ Hat er gesagt: „Ich weiß was du kannst, ich werde dich einführen, ich werde dich unterstützen. Du kannst das machen.“ Und nach kurzer Zeit bekomme ich einen…Brief von der Leiterin der Schule, eine Kopie von einem Brief, den er nach Masada geschickt hat, dass man Masada bittet der Chava Lifschitz zu erlauben, dass sie da unterrichten soll. Rufe ich sie an und sage: „Was heißt, du schickst mir eine Kopie? Du kennst mich doch gar nicht. Du weißt doch gar nicht wie alt ich bin. Ich bin doch schon 62!“ [Lacht.]

 

Ein Alter wo Leute im Allgemeinen schon in Pension gehen. Sagt sie: „Weißt du was? Du hast Recht. Aber komm’ und wir machen ein Rendezvous.“ Und wir haben gleich sehr schöne Chemie gefunden. Und kurz und gut, ich habe dann angefangen da Logo zu unterrichten. Dass er mich da eingeführt hat, das war das Minimalste was man sich vorstellen kann. Er kommt da im Juli, im Sommer…kommt er da in die Klasse und sagte: „Da ist der Schalter. Und da ist der Drucker. Und da ist das und das und das.“ Und ich sage: „Du, gehen wir da hinauf jetzt, was trinken. Es ist doch schon so heiß und ich bin durstig.“ Und wie ich gesagt habe: „Jetzt komm’, jetzt gehen wir weiter, dass du mir weitersagst, was man da machen soll.“ Sagt er: „Nein, ich habe keine Zeit mehr, ich muss weg.“ Das war seine Instruktion. [Lacht.]

 

 

3/00:26:14

 

 

Dann habe ich mir allein mit Kopierpapier Sachen zusammengestellt, was ich mit den Kindern machen soll. Also ich habe mir das effektiv alleine beigebracht, mir alleine aufgebaut. Und die Kinder haben das aber sehr geliebt und im Laufe der Zeit habe ich ein Diplom bekommen, von den Kindern. Und zwar…im Jahre [19]92 waren die Wahlen von [Jitzchak] Rabin und da war so ein jingle, den man gesungen hat. „Wir wollen Rabin, wir wollen…“, und so weiter. Eines Tages komme ich zu der Klasse und ich sehe, die Atmosphäre ist zu lustig. Da wird es heute keinen Unterricht geben. Aber ich musste ja nicht…ich habe mich nie geärgert. Es hatte ja keinen Sinn. Hatte auch gar keine Notwendigkeit gehabt. Das einzige war: Ich bin so stehengeblieben und habe den Unterricht nicht begonnen. Und ich sehe, die Atmosphäre wird nicht ernster. Ich sage: „Ihr müsst diese Sachen…“ Da sind sie so gekommen mit solchen Zelluloidbändern, wo da was mit schwarz darauf geschrieben ist. Ich war sicher, dass da steht: Hapoel oder Makkabi oder ich weiß nicht, solche Sportsachen. Und ich sage: „Ihr sollt das jetzt neben den Computer setzen, sonst gehen wir nicht zu dem Computer.“ Und sie wollten das nicht weggeben und nach ein paar Sekunden haben sie das auf den Kopf genommen und haben angefangen diesen jingle von Rabin zu singen mit: „Wir wollen Chava, Chava ist die…wir wollen Chava zum…“ Weiß ich was…zum Computer. Ich habe diese Bänder noch bis heute, kann ich dir zeigen. [Lacht.] Und dann habe ich auch noch ein Diplom. Ich habe ja die Kinder auch unterrichtet in database.

 

 

[Übergang/Schnitt.]

 

 

Das heißt, du kannst Verschiedenes eingeben und dann kannst du das…sagen wir, Städte oder Hunde oder Pflanzen oder Vögel, whatever. Und dann kannst du das sortieren und dann kannst du das Höchste, den höchsten Berg, die größte Stadt…das heißt dann חיתוך [hebr.: schneiden], also schneiden. Und ich habe ihnen einen Zettel gegeben, so einen draft, wo das alles draufsteht. Das ist das שדה [hebr.: Feld], das ist das Feld, das ist die Kategorie, das ist das und das und das. Und sie konnten das nicht. Und dann habe ich gesagt…eines Tages habe ich gesagt: „מבחן [hebr.: Test], Prüfung!“ Ah! Wer will eine plötzliche Prüfung? Fragt mich ein Kind, ob man auf diesen Zettel schauen kann. Habe ich gesagt: „Ja.“ Das hat man mir nie vergessen. Was für eine Lehrerin! Sie lässt uns auf diesen Zettel schreiben. Und alles, was ich wollte war, dass sie einmal auf diesen Zettel schauen. Und sie haben natürlich wunderbare Prüfungen gemacht. Und dann komme ich eines Tages zu meinem Drucker. Ich hatte so רשת [hebr.: ein Netzwerk], dass…alle Computer waren an einen Drucker angebunden. Und musste ich mir aufschreiben…das konnten die Kinder nicht alleine abdrucken, sie haben…alles Mögliche haben sie da gezeichnet. Damals war Chanukka und dann haben die Chanukkiot [Chanukkakerzen] gezeichnet. Und dann habe ich mir aufgeschrieben [unklar] und [unklar], damit ich das für die Kinder abdrucke. Und dann sehe ich, dass auf diesem Zettel was gestanden ist. Ich habe da so einen Zettel erwischt auf dem Tisch, wo ich mir das aufgeschrieben habe. Und ich denke mir: „Da ist doch schon was draufgestanden.“ Und dann nehme ich den Zettel in die Hand, steht dort drauf, מיפרית [hebr.: Bleistift]: „Die, die dich immer ärgert…ich wollte dir das schon immer sagen: Du bist die beste Lehrerin.“ Und, „I love Logo“, und „I love you“, mit so einem Herz. [Lacht.] Und dann auf der ganzen Seite sind diese Channukkiot [Chanukkakerzen] gewesen, die sie da drauf gezeichnet und geschrieben hat. „Chava ist die beste Lehrerin.“ [Lacht.]

 

 

3/00:31:17

 

 

Und so habe ich dann noch elf Jahre unterrichtet und noch während dieser Jahre auch das…die Schule geleitet, sozusagen, am Computer. Das ist dieses Schulsystem. Die Klassen und…die Lehrer und die Kinder und die Zeugnisse und alles. Und das habe ich dann noch vier Jahre gemacht, das heißt…bis 76 habe ich noch gearbeitet. Dann wollte man noch, dass ich weitermache, aber ich bin dann im August zur Arbeit gekommen und habe mir gedacht: „Was muss ich jetzt machen?“ Sage ich: „Was? Du musst jetzt nachdenken, was du machen sollst? Das ist das Ende.“ Und dann bin ich zu der Leiterin gegangen und habe gesagt, „Mein letztes Jahr.“ Aber ich habe elf Jahre lang Computer unterrichtet. Das war mein schönstes Erlebnis.

 

Ich hatte so viele Begegnungen mit Schülern. Ich bin dann wie gesagt mit meinem Teleskop…mit einer Handtasche zum Mitzpe Ramon, nein zum Mitzpe [unklar] sind wir gefahren. Ganz im Süden und nur Himmel. Keine Bäume, keine Häuser, kein Licht, nichts. Nur Himmel, nur Sterne. Und da hatte ich eine schwere Tasche und mit der bin ich irgendwie zum כביש [hebr.: Straße] gekommen, zur Hauptstraße und dann hält mir ein…ein kleines Auto hält, sonst hätte ich auf den Autobus warten müssen. Sage ich: „Fährst du nach Tiberias?“ Sagt er: „Natürlich. Ich nehme dich mit.“ Und während wir schon fahren, sage ich: „Bringst du mich zur Hauptstation?“ Weil ich sollte nach Haifa fahren und da hat man mich dann abgeholt. Und sagt er: „Dich? Chava Lifschitz? Soll ich nicht zur Hauptstation bringen?“ Sage ich: „Wer bist du denn?“ Sagt er: „Ich war dein Schüler. Ich bin aus Sha’ar HaGolan.“ Und ich hatte ihn überhaupt nicht in Erinnerung. Für mich war er überhaupt nicht existent. Er war so ein naughty boy. Und dann hat man ihn zu mir geschickt. Und bei mir waren alle…die kompliziertesten Kinder in der Schule, die so verpönt waren für Nichtigkeiten, die waren bei mir die besten Schüler. Weil das waren die Kinder mit der hohen Intelligenz. Und ich…da war einer, der war der Sohn von dem, der jetzt der Leiter vom Jordantal ist. Der hat…andauernd nur gesprochen und nur gestört. Dann habe ich ihm ein Dings, ein Papier gegeben und habe gesagt: „Das ist deine challenge. Jetzt arbeite! Das ist deine Aufgabe. Mach’ das!“ Und wenn er gearbeitet hat, konnte ich dann mit der anderen Klasse sprechen und arbeiten. Und so war auch ein anderes Kind. Das war sehr problematisch, aber bei mir war er ein wunderbares Kind. Dann kommt er eines Tages zu mir und sagt: „Chava, weißt du, dass man dich Chava repeat nennt?“ Sage ich: „Das finde ich sogar sehr nett.“ Und warum repeat? Weil das ganze Programm war ja auf Englisch. Und repeat war die erste פקודה [hebr.: Befehl], die immer präsent war. Mach das soundsovielmal, dann bekommst du…repeat soundso viel. Dann rufe ich eines Tages einen Chaver an, in Masada. Und sein Sohn ist am Telefon und ich sage: „Kann ich mit deinem Papa sprechen?“ Sagt er: „Ja, sofort. Papa, Chava repeat ist am Telefon!“ [Lacht.] Und das war sehr lustig. So!

 

3/00:35:30

 

LSY: Wann warst du dann das erste Mal wieder in Österreich?

CL: Also, das war dann mit meinem Mann im Jahre [19]70. Das ist eine andere Sache. Ich hatte eine Tante, die war ein bisschen queer. Eine der Schwestern meiner…also, sie war sehr nett, aber sie war so ein bisschen kompliziert. Und sie hat mir Briefe geschrieben, durcheinander. Wirklich durcheinander. Aber ich habe immer geantwortet, weil ich habe sie immer…irgendwie Barmherzigkeit für sie empfunden. Und dann wie sie gestorben ist, hat sich herausgestellt, dass sie mir alles vererbt hat. Und dann hat eine andere Tante, ihre Schwester, die in Amerika gelebt hat, gesagt: „Weißt du was, wenn du ihre Schulden geerbt hast, dann hast du auch Schulden, weil ich habe ihr andauernd Geld geschickt, damit sie überhaupt überleben kann. Also woher sie etwas zu vererben hat, weiß ich nicht.“ Und so war es. Und es hat sich herausgestellt, dass doch eine ganz große Summe dageblieben ist. Speziell traveler’s cheques und so weiter. Und diese Tante aus Amerika hat gesagt: „Weißt du, das ist mein Geld“, und „Teile das mit deiner Schwester.“ Und das habe ich auch getan. Aber es war genug Geld, um einen Ausflug mit meinem Mann nach Österreich zu machen, nach Europa. Und dann hat mein Mann gesagt: „Weißt du was, ich habe gehört es gibt da einen motor caravan. Und wir interessieren uns, da jemand in Tel Katzir mit so einem motor caravan gefahren ist. Wir interessieren uns dafür.“ Und es hat mir sehr gut gefallen, weil du weißt ja, was das ist? Ein Wohn--

LSY: --ja, ein Wohnmobil.

CL: Und dann sind wir so mit der Landkarte gesessen, und haben geschaut wo wir da hinfahren können und dann sagt er: „Nein, das ist zu teuer. Wir können uns das nicht leisten, wir nehmen uns ein Auto.“ Habe ich angefangen ihn zu überzeugen. „Wir müssen das Auto mieten…

 

[Übergang/Schnitt.]

 

…wir müssen uns Restaurants leisten und das brauchen wir alles nicht, wenn wir so ein Wohnmobil haben. Dann können wir da drinnen schlafen und da drinnen uns allein Essen machen und das wird das alles ersparen, was das teuer kostet.“ Er hat sich davon überzeugt und wir haben einen wunderschönen Ausflug gemacht. Und zwar ist er dann stundenlang, wochenlang gesessen, mit der Landkarte. Er kannte sich sehr gut aus. Soundso viele Kilometer, soundso viele Stunden, dann sind wir da…also wir fangen an in England, wir kommen in England an und wir fahren mit einer ferry nach Norwegen. Und durch Norwegen fahren wir dann nach…wir fahren durch Norwegen, von Bergen nach Oslo. Und wir fahren dann durch Deutschland und durch Österreich und durch Italien und so weiter. Wir sind zuerst durch Deutschland gefahren…und bis wir nach England gekommen sind, zuerst sind wir mal durch Österreich und durch Deutschland gefahren. Und jedes Mal wenn ich gesagt habe: „Komm’, da ist eine Ausstellung! Schauen wir uns das an!“ Hat er gesagt: „Nein, wir haben keine Zeit. Wir müssen unsere Kilometer einhalten.“ Und dann sollen wir in Kassel ein Wasserspiel sehen. „Nein, wir haben keine Zeit!“ Und zu dem…habe ich gesagt: „Du, wenn du jetzt nicht aufhörst zu sagen, wir haben keine Zeit, dann möchte ich jetzt zurück nach Hause!“ [Lacht.] Und dann hat er gesagt: „Weißt du was, wir schneiden Italien ab, dann haben wir Zeit.“ [Lacht.] Und das haben wir auch so gemacht und haben einen wunderschönen Ausflug gemacht in Norwegen und wie gesagt durch Österreich. Wir waren in Wien.

 

3/00:40:05

 

LSY: Wie war das für dich? Das erste Mal wieder in Wien zu sein?

CL: Das war auch sehr lustig. Wir haben uns dort…wir sind in Wien mit unserem Wagen gefahren und wir wollten nach Schönbrunn. Und mein Mann sagt…ich kann mich noch…wir konnten uns an alles noch erinnern. „Ich fahre jetzt da gleich da durch,“ und dann hält ihn schon ein Wachmann an und sagt: „Du fährst gegen die Richtung.“ [Lacht.] Hat er gesagt: „Vor 40 Jahren ist man da noch hingefahren.“ Ich konnte mich noch an unser Haus erinnern. Wir waren in unserem Haus. Ich war sogar in unserer Wohnung. Da war eine…also ein Insasse [meint: Bewohner], ich habe gesagt: „Können wir da hineinschauen? Dürfen wir da hineinschauen?“ Und ich habe ihr erklärt, dass ich da vor soundso vielen Jahren gelebt habe. Und ich konnte mich noch erinnern, aber es war ganz anders. Man hat dort schon fließendes Wasser gehabt. Wir hatten ja damals kein fließendes Wasser in der Wohnung. Und da war eine große Badewanne und alles was sie da hinein gemacht haben in diese kleine Wohnung. Und dann komplett im Kabinett eingeteilt haben und so. Aber wir konnten uns noch an sehr viel erinnern und es war sehr, sehr schön.

LSY: War das für euch ein schönes Gefühl mit den Erinnerungen, oder war es auch ein bisschen traurig?

CL: Ich liebe Wien bis heute. Ich nehme Wien täglich in dem Alpenpanorama auf, damit ich weiß was für ein Klima jetzt bei meiner Freundin in Wien ist. Ich habe eine Freundin in Wien, die habe ich getroffen auf einer Bahnfahrt, wo ich mit meinem Mann von Italien…wir sind ja dann ein anderes Mal auch in Italien gewesen. Dann sind wir nach Hause gefahren von Mestre und da sitzt uns jemand gegenüber, die sagt: „Was für eine Sprache sprecht ihr da?“ Wir haben ja Hebräisch miteinander gesprochen. Und da hat sie gesagt: „Ich habe noch nie so ein nettes Paar gesehen wie euch.“ Kurz und gut, wir haben uns angefreundet und sie hat mich jeweils eingeladen. Und ich bin jahrelang noch zu ihr nach Wien gefahren und ich bin bis heute noch mit ihr in Kontakt. Und wie gesagt, vor ein paar Jahren hat man uns da eingeladen, diese…auch ein Komitee--

LSY: --Jewish Welcome Service, glaube ich?

CL: Wie heißen die? Nein, anders heißen die. Eine Organisation, die Leute einladen. Ich liebe Wien bis heute. Für mich ist Wien bis heute…mein Geburtsort. Das kann man ja nicht ändern. Viel mitgemacht, viel durchgemacht, viel erlebt, aber…weißt du, ich habe einmal mit einem Krebskranken gesprochen. Und er hat mir gesagt, er fürchtet sich nicht vor dem Tod. Habe ich gesagt: „Weißt du was? Ich auch nicht.“ אני מיציתי את החי [hebr.: Ich habe mein Leben ausgenutzt]. Ich habe mein Leben so ausgenützt und genossen. Und jetzt habe ich so eine große Familie und so viel Angenehmes. Wenn er mich ruft, dann gehe ich. [Lacht.]

LSY: Was war für dich wichtig, an deine Kinder und an deine Enkelkinder weiterzugeben, was für Werte, was für Ideen?

CL: Also ich…wie gesagt, wenn ich noch etwas geben kann, dann bin ich froh. Wenn sie jetzt bei mir Gitarre spielen lernt und sie macht Aufgaben. Heute soll sie zu mir kommen, da muss sie vorbereitet sein. Sie muss geübt haben. Und dann habe ich ein anderes Kind ein bisschen unterrichtet. Sie möchte jetzt noch diese Bastarbeiten…wenn ich ihnen noch etwas geben kann. Gestern war ein Enkelsohn hier mit zwei Kindern…von fünf die er hat. Sie wollten auch diesen Chor mitanhören. So goldig alle! Eines süßer als das andere.

 

3/00:44:58

 

LSY: Wann bist du hierher gezogen?

CL: Vor fünf Jahren. Das war ein ganz, ganz schlimmes Kapitel. Ich war ja…habe ja an einem sehr schönen Ort gewohnt, in Masada. Und ich habe immer gesagt: „So eine Villa finde ich nirgends und da bleibe ich schon bis an mein Ende.“ Aber das ist immer schwieriger geworden. Die Familien sind größer geworden. Sie sind seltener zu mir gekommen. Schon fast gar nicht mehr, weil mit fünf Kindern in so einer kleinen Kibbuz-Wohnung, kann man sie nicht mehr unterbringen. Und mir fiel es auch schon schwerer in die Stadt zu fahren, da die Stiegen auf dem Autobus immer höher geworden sind. [Lacht.] Und die Einsamkeit ist gewachsen, weil es war überhaupt keine gleiche Altersgruppe von mir im Kibbuz. Weil es waren nur die älteren--

LSY: --wann ist dein Mann gestorben--

CL: --zehn Jahre ältere und noch viel jüngere, die Kinder. Weil Masada nicht fähig war diese ganzen גרעינים [hebr.: wörtlich: Kerne, auch in jüdischen bzw. zionistischen Organisationen als Eigenname (Garinim) für Siedlergruppen] festzuhalten, die da jeweils durchgegangen sind und es immer wieder verlassen haben. Also im Allgemeinen war Masada ja ein schlechter Kibbuz. Aber dadurch, dass man mich so viel machen ließ und ich so viel von mir geben konnte, war mir das nicht so wichtig. Ich war in allen…ich war in der הנהלה [hebr.:: Geschäftsführung], ich war in der מזכירות [hebr.: Sekretariat], ich war in [unklar]…alles habe ich mitgemacht. Und bis zum Schluss, dann haben sie mich schon nicht mehr gebraucht. „Diese alte Chava, wir wollen die Jungen.“ Sie wollten mich nicht mehr in der מזכירות und sie wollten mich nicht mehr in der הנהלה. Dann habe ich gesagt: „Jetzt habe ich hier nichts mehr verloren.“ Und irgendjemand hat gesagt: דיור מוגן [hebr.: Betreutes Wohnen]. Und ich habe immer gedacht, [unklar] ist nur für Leute, wie die Rivka Michaeli, oder… [Lacht.] Und dann…meine Tochter hat dann gesagt: „Ja, ich habe schon mit meinem Bruder darüber gesprochen. דיור מוגן [hebr.: Betreutes Wohnen] ist für dich das Richtige.“ Und sie hat hier in Masada gewohnt. Und ich habe auch eine Enkeltochter und einen Enkelsohn. Eine, die hier wohnt und einen, der in der Nähe wohnt. Und sie ist dann von einem Haus zum anderen gegangen und hat dann dieses Haus gefunden. „Das ist für dich das Richtigste und das Beste.“ Auch wie sie diesen Workshop da gesehen hat und gesehen hat, dass ich da zur Geltung kommen kann. Und dann habe ich angefangen…ich werde Kibbuz verlassen und dann werde ich das Geld dafür bekommen. Es gebührte mir eine halbe Million oder sowas, als Abfertigung. Und dann hat unser גיסבר [hebr.: Schatzmeister], der Finanzminister von Masada…hat gesagt: „Ich kann dir 2.000 Schekel jeden Monat zur Verfügung stellen, nicht mehr.“ Mit dem kann man ja nichts anfangen.

Und dann kommt etwas ganz Interessantes. Ich habe mich während der Jahre, die ich auch nach Salzburg gefahren bin…ich habe in Masada das Internet gemacht für unsere צימרים [hebr.: Unterkünfte]. Und während dieser Zeit habe ich Leute aus dem Ausland nach Masada gebracht und mich mit ihnen angefreundet. Und so bin ich nach Salzburg gekommen, durch eine Freundin. Und auch in die Schweiz, mit Leuten, mit denen ich bis heute in Kontakt bin und die jetzt wiederkommen werden. Und dadurch, dass ich mich so mit dem Bürgermeister von Salzburg angefreundet habe, hat er in einer meiner E-Mails mich gefragt: „Das gefällt mir nicht, was ist los mit dir?“ Und dann habe ich geschrieben: „Lass mich mal im Lotto etwas gewinnen, damit ich Geld habe.“ Und er hat das ernst empfunden, weil er mich gekannt hat, dass das kein Witz ist. Dass das ein makabrer Witz ist. Und ist zu der Leitung von Salzburg gegangen und hat mir einen enormen Betrag gespendet. Und mit dieser Spende bin ich hergekommen. Bis heute zahle ich mehr, um diese Spende aufzu-…das muss man upgraden sozusagen, damit es den monatlichen Zinsen entspricht. Aber dadurch bin ich hergekommen. Sonst hat er mich…ein dreiviertel Jahr hat man mich hingezogen in Masada. Und ich bin schon hier gewesen und man hat ein halbes Jahr…hat man diese Wohnung für mich reserviert gehalten. Man hat mich andauernd angerufen: „Wie steht es? Wie geht es dir? Was gibt es?“ Man hat gewusst, was ich da durchmache, dass ich das Geld nicht bekommen kann.

 

3/00:50:29

 

Und dann ist ein…jemand gekommen, ein neuer מזכיר [hebr.: Sekretär] in Masada, der gesagt hat: „Weißt du was? Nicht verlassen. Du bleibst member und wir gestatten dir einen Urlaub.“ Und dann hat man so einen גישור [hebr.: Mediation] gemacht. Weißt du, was ein גישור ist? So eine Vermittlung mit einem Rechtsanwalt, der…man stellt dir den ביטוח לאומי [Sozialversicherung] und deine Pension zur Verfügung und wir geben dir noch einen Betrag, der dir genügt, monatlich hier einzuzahlen. Und das hat aber so lange gedauert, bis man das gemacht hat, bis das zustande gekommen ist. Und dann bin ich hierhergekommen und vom ersten Tag habe ich mich hier zu Hause gefühlt. Vom ersten Tag. Ich bin doch wie gesagt eine קיבוצניקי [hebr.: Kibbuzniki, Mitglied eines Kibbuz]. Und mit Leuten leben war immer meine Sache. Und ich kenne mehr Leute, wie jemand, der schon viele Jahre hier lebt. Und ich merke mir die Namen, weil mir das wichtig ist. Ich weiß, wie die Leute heißen. Nicht alle, aber mit denen ich in Kontakt komme. Und, wie gesagt, du siehst ja, pünktlich um die Zeit kommt man mir die Wohnung sauber machen. Wenn ich etwas brauche…ich brauche jetzt dort…eine Lampe ist da ausgebrannt. Wenn ich da anrufe, in ein paar Sekunden ist jemand da, mir das richten. Und wir bezahlen da nicht extra. Und ich koche mir noch alleine. Ich habe mir jetzt meinen freezer wieder eingefüllt. Ich mache mir solche Töpfe voll mit Mahlzeiten und nehme mir jeden Tag eine Portion raus. [Lacht.]

LSY: יופי, תודה רבה. [hebr.: Schön, vielen Dank].

[Ende des Interviews.]